21 Februar 2018

Wie entsteht ein Lawinenbulletin?

Das Lawinenbulletin und eine ganze Reihe von Zusatzprodukten werden vom Lawinenwarndienst herausgegeben. Seine Ansiedlung am SLF ermöglicht es, ständig die neusten Forschungsresultate umzusetzen.Mit dem Lawinenbulletin und diversen Zusatzprodukten orientiert das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF die Öffentlichkeit über die Schnee- und Lawinensituation in den Schweizer Alpen und im Jura. Der Inhalt des Lawinenbulletins hat den Charakter einer Warnung. Es erscheint im Winter zwei Mal täglich und enthält als wichtigste Information eine Prognose der Lawinengefahr für die Schweizer Alpen, Liechtenstein und bei genügender Schneelage auch für den Jura.

Für ein zuverlässiges Lawinenbulletin werden Messungen sowie Beobachtungen und Einschätzungen aus dem Gelände analysiert und interpretiert. Die weitere Wetterentwicklung wird im Wesentlichen aus Wettermodellen abgeleitet. Für die Lawinenprognose muss deren Auswirkung auf die Entwicklung der Schneedecke und der Lawinengefahr abgeschätzt werden. Dazu sind Prozessverständnis, Regeln und viel Erfahrung, aber auch umfangreiche Programme z.B. zur Visulisierung der Messwerte, zur Modellierung der Schneedecke sowie zu Erstellung und Publikation der Produkte nötig.

Schema Entstehung Lawinenbulletin
Schema Entstehung Lawinenbulletin. Zum Vergrössern auf die Abbildung klicken.

Arbeitsablauf

Von den insgesamt sieben Lawinenwarnern bestreiten jeweils drei im Turnus den operationellen Lawinenwarndienst. In den Zwischen- oder dienstfreien Zeiten erstellen sie die Wochen- und Winterberichte, kümmern sich um Beobachternetz und Unfälle, sind in der Ausbildung tätig, entwickeln neue Produkte und widmen sich verschiedenen Forschungs- und Projektarbeiten.

Zeitraffer-Film

Ein Blick in den Warnraum zeigt, wie das Lawinenbulletin für den folgenden Tag erstellt wird.

Beschreibung des Tagesablaufs

Die Einschätzung der Lawinengefahr ist ein fortlaufender Prozess. Die Prognose für den folgenden Tag beginnt bereits vor dem Mittag mit einer detaillierten Datenanalyse. Dabei werten die Lawinenwarner alle verfügbaren Informationen mit verschiedenen, eigens dafür entwickelten Programmen aus. Im Mittelpunkt stehen die lawinenbildenden Faktoren und ihre Entwicklung in den kommenden Tagen. Um 15 Uhr findet ein Briefing statt. Dort präsentiert der Hauptdienst seine Analyse und anschliessend werden die Einschätzungen der verschiedenen Lawinenwarner verglichen und diskutiert. Zum Schluss des Briefings herrscht Klarheit über den Schneedeckenaufbau, den wahrscheinlichsten Witterungsverlauf und darauf aufbauend die erwartete Lawinensituation inkl. Gefahrenstufe, besonders betroffenen Geländeteile, Lawinenprobleme usw.

Warnraum
Beim Briefing besprechen die diensthabenden Lawinenwarner die Situation. Klick zum Vergrössern. Bild: Mallaun Photography

Der Bulletintext „Schneedecke und Wetter“, welcher vom Hauptdienst bis zum Briefing bereits geschrieben wurde, wird gegengelesen und bei Bedarf angepasst. Anschliessend verfassen die Lawinenwarner für jedes Gefahrengebiet die Gefahrenbeschreibung und produzieren die Gefahrenkarte. Vor dem Versand wird nochmals gegenseitig alles genau durchgelesen und korrigiert. Um 17 Uhr müssen die Produkte veröffentlicht sein, und schon kurz davor sendet SRF 1 täglich ein Live-Interview mit dem Hauptdienst. In der Zwischenzeit wurde der Text von „Schneedecke und Wetter“ von einem Übersetzungsbüro ins Französische, Italienische und Englische übersetzt. Die Übersetzungen werden von den Lawinenwarnern kontrolliert und spätestens um 18 Uhr publiziert.
Um 05.30 Uhr des nächsten Tages beginnt der Hauptdienst mit der neuen Analyse. Dabei richtet sich das Augenmerk auf unerwartete Entwicklungen in der Nacht, nicht ins Bild passende Informationen von Beobachtern und ändernde Wetterprognosen, die eine Anpassung der Einschätzung nötig machen könnten. Um 7 Uhr findet das Briefing statt, danach werden die Anpassungen vorgenommen und kontrolliert. Dank der automatischen Übersetzung der Gefahrenbeschreibung können letzte Änderungen noch bis wenige Minuten vor dem Ausgabezeitpunkt um 8 Uhr vorgenommen werden.

Technische Systeme

Damit das Lawinenbulletin zweimal täglich erscheint, braucht es mehr als lawinenspezifisches Fachwissen und Informationen zum Schnee- und Wettergeschehen. Das Team „Warn- und Informationssysteme“ des SLF entwickelt für die Lawinenwarnung Softwarelösungen nach Mass, die nirgends im Handel erhältlich sind. Dazu gehören u.a. Datenerfassungstools, Analysewerkzeuge, Editoren zur Erstellung des Bulletins sowie Versandprogramme um das Bulletin auf Web und Smartphone verfügbar zu machen.

Analyse- und Visualisierung

Etwa 180 IMIS-Stationen sowie weitere automatische Stationen von MeteoSchweiz, 200 Beobachter, Schneedeckenmodelle, Meteomodelle und Wetterberichte – diese Datenflut kann nur bewältigt werden, wenn die Werte gut aufbereitet und visualisiert werden. Die interaktive, räumliche Datenvisualisierung erfolgt GIS-basiert. Dabei können sowohl Messungen als auch Beobachtungen oder Einschätzungen dargestellt und statistische Werte berechnet werden.

Bulletin-Editor

Das Lawinenbulletin wird mit dem am SLF eigens dafür entwickelten Bulletin-Editor erstellt. Die Informationen zu Schneedecke und Wetter sowie die Tendenz für die beiden an den Prognosezeitraum anschliessenden Tage werden mit einem Texteditor beschrieben. Dieser Text wird von einem Übersetzungsbüro in die Sprachen Italienisch, Französisch und Englisch übersetzt.

Für die Gefahreneinschätzung und –beschreibung weisen die Lawinenwarner jeder der über 120 Warnregionen der Schweiz per Mausklick die Gefahrenstufe zu und ergänzen diese mit der Angabe der besonders betroffenen Geländeteile. Warnregionen mit einer ähnlichen Lawinensituation werden, entsprechend den aktuellen Verhältnissen, zu „Gefahrengebieten“ zusammengefasst. Für weitgehend schneefreie Warnregionen wird keine Einschätzung vorgenommen.

Screenshot Bulletin Editor
Screenshot des Bulletin-Editors. Die über 120 Warnregionen werden bei jeder Ausgabe entsprechend den jeweiligen Lawinenverhältnissen zu verschiedenen „Gefahrengebieten“ zusammengefasst.

Satzkatalog für automatische Übersetzung

Für jedes Gefahrengebiet verfassen die Lawinenwarner eine eigene Gefahrenbeschreibung. Vor allem am Morgen ist das Zeitfenster zwischen dem Eintreffen der Beobachtungen aus dem Gelände und dem Ausgabezeitpunkt so kurz, dass eine manuelle Übersetzung nicht möglich ist. Deshalb wurde am SLF ein vollautomatisches Übersetzungssystem entwickelt. Es basiert auf einem Katalog von vordefinierten Sätzen, die in alle benötigten Sprachen übersetzt und in der Datenbank gespeichert wurden. Bei der Erstellung des Bulletins werden die Gefahrenbeschreibungen nicht frei geschrieben, sondern aus diesen vordefinierten Sätzen zusammengestellt, so dass sie sofort in allen Sprachen zur Verfügung stehen. Damit sich alle möglichen Situationen beschreiben lassen sind die einzelnen Sätze nicht fix. Sie bestehen aus verschiedenen Segmenten, bei denen jeweils zwischen vordefinierten Optionen ausgewählt werden kann. Paper zum Satzkatalog: Download als .pdf.

Satzkatalog
Schema eines Satzes aus dem Satzkatalog. Oben in der Quellsprache Deutsch. Unten Englisch als eine der Zielsprachen. Zum Erzeugen der korrekten Satzstellung können die Segmente in einer anderen Reihenfolge angeordnet und zudem zweigeteilt sein.

Generieren der Produkte und Publikation

Wenn Gefahreneinschätzung und -beschreibung definitiv sind, kommt die Veröffentlichungs-Applikation zum Einsatz: Sie liest die erfassten Informationen aus der Datenbank, erstellt daraus die verschiedenen Produkte und publiziert diese. Insgesamt werden pro Bulletinausgabe bis zu 200 verschiedene Produkte erstellt, nebst dem interaktiven Lawinenbulletin auch Druckversionen und diverse Spezialprodukte.

Weiterführende Informationen:

Aktuelles Lawinenbulletin

SLF-App „White Risk“

Quelle: WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF

Beitrag teilen:

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *