Sanitätsdienstliche Versorgung im Krisenfall als Herausforderung
Die zunehmende globale Erwärmung führt uns ins Bewusstsein, dass sich naturbedingte Krisen häufen werden. Zudem erhöht die globale Vernetzung das Risiko von technisch oder gesellschaftlich bedingten Krisen. Die Herausforderungen für den Bevölkerungsschutz sind gestiegen. Diese Umstände lieferten dem Koordinierten Sanitätsdienst auch den Anlass, im Campus KSD entsprechende Ausbildungsinhalte zu entwickeln, um Fachkräfte besser auf künftige Szenarien der Krisenbewältigung vorzubereiten. Die Ausbildung soll einerseits einen sehr breiten Anwendungsbereich abdecken, andererseits auch so vermittelbar sein, dass das Gelernte in einer Stresssituation wirklich abrufbar ist.
Die Bereitstellung solcher Ausbildungsinhalte ist Teil des Auftrags des Koordinierten Sanitätsdienstes (KSD), um die sanitätsdienstliche Versorgung in allen Lagen sicherzustellen. In der normalen Lage besteht die Aufgabe des KSD darin, den Ernstfall so gut wie möglich vorzubereiten. Neben der Ausbildung kann dies auch durch Konzeptarbeit geschehen, in denen es beispielsweise darum geht, Pläne zur Evakuation von sanitätsdienstlichen Einrichtungen zu erstellen. In besonderen und ausserordentlichen Lagen koordiniert der KSD u.a. die Belegung der Spitäler, die Verteilung von medizinischen Gütern sowie verschiedene Expertengremien zur Unterstützung der Fachkräfte im Einsatz.
Während die medizinische Versorgung der Schweizer Bevölkerung im Alltag grundsätzlich gut funktioniert, stellt die Versorgung in Krisenfällen eine Herausforderung dar. So sind zum Beispiel Spitäler in der normalen Lage angehalten, wirtschaftlich zu arbeiten. Dies bedeutet, dass ungenutzte Reserven, wo möglich und vertretbar, reduziert werden. In einem Krisenfall mit einer grossen Anzahl Verletzter oder Erkrankter sind jedoch zusätzliche Ressourcen notwendig, die in der normalen Lage ungenutzt blieben und darum zwischenzeitlich gar reduziert wurden. In der Covid-19 Pandemie hat sich gezeigt, dass die Anzahl an Intensivbetten kaum ausreichte, um die mit dieser Infektionskrankheit einhergehende, stark ansteigende Nachfrage nach invasiver Beatmung zu befriedigen.
Ohne Verzögerungen ging es nicht
In der ersten Covid-19-Welle mussten daher elektive Eingriffe ausgesetzt werden, um die dadurch frei gewordenen Ärztinnen und Pflegerinnen in den Intensivstationen einzusetzen. Dies hat die Verfügbarkeit von Intensivbetten stark erhöht, jedoch auf Kosten der zurückgestellten Eingriffe, welche die Lebensqualität der davon betroffenen Patientinnen negativ beeinträchtigt haben. Diese zusätzlich „generierten“ Fachkräfte waren dann durchgehend in Bereitschaft oder im unmittelbaren Einsatz, weshalb sie schon bald übermüdet waren. Dadurch konnte diese Strategie auch nur kurzfristig aufrechterhalten werden.
Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass in der zweiten Welle die Herausforderung anders angegangen wurde. Da in der ersten Welle die Auslastung der Intensivplätze nicht in allen Regionen gleich hoch war, lag die Möglichkeit auf der Hand, in der zweiten Welle mit schweizweiten Patienten-Verlegungen die Last zu verteilen und auszugleichen. So hat der KSD auf Initiative der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) mit dem Generalsekretariat der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und dem Verband H+ die Spitäler der Schweiz sowie dem Interverband für Rettungswesen (IVR) ein Konzept zur nationalen Koordination der Intensivstationen erarbeitet. Ziel war es, über eine nationale Koordinationsstelle die optimale Auslastung aller schweizweit vorhandenen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten sicher zu stellen. Dadurch konnten Intensivpatienten in erster Linie auf andere Intensivstationen verlegt werden, bevor zusätzliche Intensivplätze geschaffen werden mussten.
Dies verdeutlicht, dass jede Krise unterschiedliche Ansprüche an die Gesundheitsversorgung stellt. Um diesem Umstand auch im Bereich der Ausbildung Rechnung zu tragen, wurde bei der Entwicklung des Campus KSD ein Analyserahmen auf Basis der Risikoszenarien des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz BABS erstellt. Dabei sind vor allem zwei Aspekte für das Gesundheitssystem relevant: erstens, die medizinische Last (Anzahl Unterstützungsbedürftiger, Verletzter und Toter) und zweitens, die Dauer der Krise. Sich auf alle erdenklichen Szenarien adäquat vorzubereiten, ist grundsätzlich unmöglich. Dies erfordert eine gewisse Abstraktionsbereitschaft für die krisenspezifische Ausbildung.
In verschiedenen Szenarien denken
Die Aufteilung nach medizinischer Last und Einsatz-Dauer ermöglichte es, Typologien von unterschiedlichen Krisenszenarien für das Gesundheitssystem zu erarbeiten:
- Typ 1: schnell auftretende (<10 Tage) Krisen mit einem lokalen Massenanfall von Verletzten (z.B. Terroranschlag)
- Typ 2: langsam auftretende Krisen (>10 Tage) mit einem lokalen bis regionalen Massenanfall von Verletzten (z.B. gewalttätige Unruhen)
- Typ 3: langsam auftretende (>10 Tage) Krisen mit einem regionalen bis landesweiten Massenanfall von Verletzten (z.B. Pandemie)
Jeder Typ stellt unterschiedliche Herausforderungen an das Gesundheitswesen. Typ 1 bedingt prozessspezifische Kompetenzen und das Einüben von automatisierten Abläufen von der Alarmierung bis zur Versorgung der betroffenen Personen. Typ 2 macht eine effiziente Bereitschaftsplanung notwendig, während bei Typ 3 vor allem die Resilienz der Organisation wichtig ist. Diese Kompetenzen können aufgrund dieser Anforderungen definiert und in die Ausbildung integriert werden. Die Krisenbewältigung bei Typ 1 läuft grösstenteils über die Kantone. Der KSD unterstützt die Krisenbewältigung der Kantone bei entsprechenden Szenarien beispielsweise mit der Bereitstellung des Informations- und Einsatzsystems (IES), um die Verfügbarkeit von Daten zur optimalen Versorgung von Verletzten sicherzustellen (z.B. Spitalkapazitäten, Patientenverfolgung). Bei Typ 2 können auf dem IES z.B. auch zusätzliche lagerelevante Informationen erfasst und bereitgestellt werden. Auch die Bereitstellung von zusätzlichem Material oder Experten wird durch den KSD koordiniert. Bei Typ 3 wird auch die Koordination unter den Kantonen, z.B. im Austausch von Patienten und Gütern vom KSD unterstützt.
Koordinierter Sanitätsdienst (KSD)
Der KSD Bund koordiniert die sanitätsdienstlichen Partner in der Schweiz bei ausserordentlichen Ereignissen und Katastrophen oder Notlagen. Ziel des KSD ist es, jederzeit durch effiziente Koordination eine bestmögliche sanitätsdienstliche Versorgung der Bevölkerung in der Schweiz in allen Lagen zu gewährleisten. Zu seiner Aufgabe gehört es, gemeinsam mit den Partnerorganisationen, Bedrohungsszenarien durchzudenken, Erkenntnisse aus verschiedenen extremen Ereignissen zu verarbeiten und diese in die entsprechenden Empfehlungen, Massnahmen, Ausbildungen und Projekte einfliessen zu lassen, um bestmöglich vorbereitet zu sein.
Falls es die Lage erfordert, können rasch die strategischen Reserven des Sanitätsdienstes der Armee mobilisiert werden. Die Doppelfunktion Oberfeldarzt/Beauftragter KSD ermöglicht kurze Entscheidungswege.
Weitere Informationen
- Koordinierter Sanitätsdienst (KSD)
- Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI)
- Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK)
- Verband H+ die Spitäler der Schweiz
- Interverband für Rettungswesen (IVR)
Autor: Stefan Katz, wissenschaftlicher Mitarbeiter KSD