26 November 2021

«Der Klimawandel betrifft uns direkt und vital»

Der Bündner Sicherheitsvorsteher Peter Peyer und Martin Bühler, Amtsleiter Bevölkerungsschutz, betonen im Interview mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS die Rolle des Klimawandels als künftige Herausforderung für den Bevölkerungsschutz in den Bergkantonen. Das Gespräch fand im Rahmen der diesjährigen Bevölkerungsschutzkonferenz (BSK21) Anfang November in Davos statt.

BABS: «Klimawandel – Albtraum für den Alpenraum?» war das Motto der diesjährigen #BSK21. Wie beantworten Sie diese Frage, ist es ein Albtraum?

Peter Peyer: Es ist zumindest eine nie dagewesene Herausforderung. Wir müssen uns auf eine grössere Anzahl, auf längere und auf Ereignisse mit grösserem Schadensausmass vorbereiten. Der Klimawandel trifft uns in den Bergen direkt und vital, und er trifft uns früher als andere Räume in der Schweiz.

Ist der Bevölkerungsschutz dieser Herausforderung gewachsen?

Peter Peyer: Es gibt schon ungelöste Fragen. Wenn wir Angehörige des Zivilschutzes plötzlich zwei bis drei Wochen im Einsatz behalten müssen, dann fehlen sie am Arbeitsplatz. Wenn unsere Infrastrukturen unterbrochen werden, dann sind rasch grosse Kantonsteile von einem Ereignis betroffen. Generell stellt sich die Kapazitätsfrage: Wenn wir plötzlich mehrere Fälle haben wie das vom Abrutschen bedrohte Brienz, dann kommen wir an Kapazitätsgrenzen. Das haben noch nicht alle verstanden.

 

Peter Peyer, Vorsteher des Departments für Justiz, Sicherheit und Gesundheit des Kantons Graubünden, an der BSK21 in Davos

Was ist zu tun?

Peter Peyer: Sicher müssen wir die Instrumente des Bevölkerungsschutzes an die Gefährdungslage anpassen – die Bekämpfung der Folgen des Klimawandels wird eine wichtigere Aufgabe, für unseren Kanton, auch für die interkantonale Zusammenarbeit die Instrumente des Bundes und auch die Armee. Wir müssen aber auch unsere Bevölkerung und die Politik mehr einbeziehen. Und vor allem müssen wir endlich entschlossen die Ursachen angehen, z. B. den CO2-Ausstoss massiv reduzieren!

Die Bevölkerung ist oft «Schutzobjekt» im Bevölkerungsschutz. Kann sie mehr Aufgaben als heute übernehmen, um für Ereignisse besser gerüstet zu sein?

Martin Bühler: Die Bündner Bevölkerung ist sich sicher gewohnt, mit widrigen Umständen umzugehen. Sie ist auch bereit, mitzuarbeiten: Bereits bei unseren ersten (Corona-)Reihentests im Dezember 2020 machten über 60% der Bevölkerung Südbündens mit, kamen zu den Teststationen und standen dort auch an, um diesen Versuch zu unterstützen. Schliesslich boten die Resultate die Basis dafür, dass wir unsere Teststrategie kantonsweit umsetzten konnten. Das Beispiel zeigt: Das Potential ist da, die Bevölkerung mit einzubeziehen.

 

Martin Bühler, Leiter des kantonalen Amtes für Militär und Bevölkerungsschutz Graubünden

In ihrem Referat an der Bevölkerungsschutzkonferenz haben sie neben dem Einbezug der Bevölkerung auch die Anpassungsfähigkeit der Führungsstrukturen thematisiert.

Martin Bühler: Wir haben dazu mehrere praktische Beispiele in unserem Kanton: Die Situation in Brienz/Brinzauls, das vom Abrutschen bedroht ist, die Covid Pandemie und der Wiederaufbau der von einem Bergsturz stark zerstörten Gemeinde Bondo: In allen drei Fällen starteten wir die Führungsstrukturen nach derselben Grundkonfiguration und passten sie dann flexibel auf die Bedürfnisse der jeweiligen Situation an, in dem wir wichtige Player dazu holten, thematische Arbeitsgruppen bildeten und die Krisenorganisation mit den politischen Behörden von Gemeinden und Kanton verbanden.

Das Bündner Dorf Brienz bewegt sich 1,5 Meter pro Jahr talwärts und die Bergflanke oberhalb von Brienz mit bis zu acht Meter pro Jahr. Das ganze Rutschungssystem ist äusserst komplex. Im Bild ist rechts des Dorfes die bewaldete Ablagerung des sogenannten „Igl-Rutsch“ zu erkennen, der 1877 13 Millionen Kubikmeter Material mit einer Geschwindigkeit von bis zu einem Meter pro Tag an den Dorfrand von Brienz verlagerte. Bild: CSD Ingenieure AG

Den politischen Behörden kommt nicht nur eine wichtige Funktion als Entscheidträger, sondern auch im Dialog mit der Bevölkerung zu.

Martin Bühler: Die politischen Entscheidträger sind diejenigen, die im Austausch mit der Bevölkerung stehen. Das muss umso mehr in der Krise der Fall sein. Wir trainieren mit unseren Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten darum nicht nur die Führung eines Krisenstabes, sondern auch die Kommunikation – diese Aufgabe wird wichtiger, wenn wir künftig mit mehr Naturereignissen rechnen müssen.

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