Was der Bund plant, damit der Zivilschutz auf genügend Personal zählen kann
Zurzeit steht der Zivilschutz wieder im Einsatz zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Bis zum 31. März 2022 läuft das dritte nationale Aufgebot. Der grösste und längste Einsatz in der Geschichte des Zivilschutzes zeigt nicht zuletzt auf, wie wichtig genügend Männer und Frauen im Zivilschutz sind. Um sicherzustellen, dass der Zivilschutz auch künftig auf einen soliden Personalbestand zählen kann, hat der Bundesrat verschiedene Massnahmen in Auftrag gegeben.
2020 leisteten gegen 27’000 Zivilschutzangehörige beim Corona-Einsatz gut 365’000 Diensttage. 320’000 davon im Rahmen des Bundesratsaufgebots, den Rest bei kantonalen Einsätzen. Bis zum Ende des zweiten Bundesratsaufgebots Ende Oktober leisteten 2021 nochmals rund 12’000 Zivilschutzangehörige zur Bewältigung der Pandemie 167’000 Diensttage. Am 10. Dezember 2021 schliesslich hat der Bundesrat ein drittes nationales Aufgebot von Schutzdienstpflichtigen beschlossen.
Das Milizsystem bedingt, dass für die Durchhaltefähigkeit in einer langandauernden Krise genügend Personal zur Verfügung steht. Nur so kann insbesondere der Spagat zwischen Dienstpflicht und Beruf gelingen. Dies hat die Corona-Pandemie klar aufgezeigt. Der Zivilschutz muss selbst bei einem Grosseinsatz in der Lage sein, jederzeit parallel weitere Katastrophen und Notlagen zu bewältigen – wie die Unwetter im Juli 2021, als zusätzliche 2400 Zivilschutzangehörige rund 6800 Dienstage leisteten.
Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie bestätigen, dass die Bestände, wie sie im Hinblick auf die Totalrevision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes (BZG) in den Kantonen festgelegt wurden, für einen effektiven Zivilschutz ausreichen. Ohne Massnahmen wird der Sollbestand von 72’000 Zivilschutzangehörigen in Zukunft aber nicht mehr erreicht werden.
Zu tiefe Rekrutierungszahlen
Die Analyse zu den Beständen beim Zivilschutz ergibt, dass tiefe Rekrutierungszahlen für die Alimentierungslücken verantwortlich sind. Ursprünglich ging der Bundesrat von 6000 Rekrutierten pro Jahr aus, womit zur Erreichung des Sollbestandes eine Reduktion der Dienstpflichtdauer auf 12 Jahre verkraftbar gewesen wäre. In der Zwischenzeit hat sich aber gezeigt, dass zwar die Anzahl an Stellungspflichtigen relativ stabil und die Tauglichkeitsrate konstant war, die Anzahl der Rekrutierten aber trotzdem stark zurückging. 2020 wurden gar weniger als 3000 Personen für den Zivilschutz rekrutiert.
Die Ursache liegt teilweise in der Einführung der sogenannten differenzierten Zuteilung (Tauglichkeit) in der Armee. Mit der differenzierten Zuteilung ist es möglich, auch Stellungspflichtige in die Armee aufzunehmen, die medizinische Einschränkungen aufweisen, beispielsweise beim Tragen, Heben oder Marschieren. Dadurch bleiben heute mehr Stellungspflichtige in der Armee, die früher in den Zivilschutz eingeteilt worden wären.
Kurz- und mittelfristige Massnahmen
Der Bundesratsbericht «Alimentierung von Armee und Zivilschutz. Teil 1: Analyse und kurz- und mittelfristige Massnahmen» vom 30. Juni 2021 spricht von einer strukturellen Unteralimentierung und warnt, dass für 2030 bei einer gleichbleibend tiefen Rekrutierungsquote von einem Bestand von nur noch 51’000 Zivilschutzangehörigen ausgegangen werden kann. Manche Leistungen des Zivilschutzes wären dann in Frage gestellt.
Erste Massnahmen hat der Bundesrat in Absprache mit den Kantonen bereits bei der Einführung des neuen BZG auf 2021 ergriffen. Dazu gehört die Verlängerung der Dienstpflicht von 12 auf 14 Jahre. Eine Übergangsbestimmung ermöglicht es den Kantonen, die Dienstpflicht bis zum Ende des Jahres zu verlängern, in dem die Schutzdienstpflichtigen 40 Jahre alt werden. Diese Verlängerung, von der neun Kantone (AI, BL, FR, GL, GR, JU, LU, OW, TI) Gebrauch gemacht haben, gilt bis längstens Ende 2025. Zudem können die Kantone auf den neu geschaffenen interkantonalen Personalpool zugreifen, der den interregionalen und interkantonalen Ausgleich von Über- und Unterbeständen erleichtern soll.
Ausweitung der Zivilschutzdienstpflicht
Da diese Massnahmen aber die Situation nicht nachhaltig verbessern, hat der Bundesrat weitere Massnahmen beschlossen: Die Zivilschutzdienstpflicht soll ausgeweitet werden. Vor allem sollen Zivildienstpflichtige dazu verpflichtet werden können, einen Teil ihrer Zivildienstpflicht in einer Zivilschutzorganisation zu leisten, die einen dauerhaften Unterbestand aufweist. Auf diese Weise sollen Synergien zwischen Zivildienst und Zivilschutz genutzt werden.
Zudem sollen Militärdienstpflichtige, die bis zum Ende ihres 25. Lebensjahres die Rekrutenschule (RS) nicht absolviert haben, auf die Schutzdiensttauglichkeit geprüft und in den Zivilschutz eingeteilt werden, statt wie heute aus der Armee entlassen zu werden. Das gleiche Verfahren soll bei Armeeangehörigen gelten, die nach absolvierter Rekrutenschule aus medizinischen Gründen untauglich werden.
Weiter hat der Bundesrat Prüfaufträge erteilt: Damit das Potenzial von Schutzdienstpflichtigen besser ausgeschöpft werden kann, soll geprüft werden, ob eine Zuteilung in Abweichung vom Wohnortsprinzip sowie eine differenzierte Tauglichkeit von Schutzdienstpflichtigen eingeführt werden können.
Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems
Mit diesen Massnahmen können die Bestände des Zivilschutzes mittelfristig substanziell verbessert werden. Deshalb hat der Bundesrat das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) beauftragt, bis Ende Juni 2022 die nötigen Gesetzesrevisionen zu erarbeiten.
Da der Bundesrat davon ausgehen muss, dass die Bestände der Armee und des Zivilschutzes bei unveränderten Rahmenbedingungen mit dem derzeit bestehenden Dienstpflichtsystem langfristig nicht gesichert werden können, sollen weiterführende Überlegungen zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems angestellt werden. Der Bundesrat hat das VBS deshalb beauftragt, in einem zweiten Teil des Alimentierungsberichts Varianten vorzulegen, wie das Dienstpflichtsystem angepasst werden könnte.
Zivilschutz oder Zivildienst?
Militärdienstuntaugliche Männer mit Schweizer Bürgerrecht sind schutzdienstpflichtig und müssen Zivilschutz leisten, sofern sie schutzdiensttauglich sind. Für den Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen deckt der Zivilschutz ein breites Aufgabenspektrum ab. Zu seinen Aufgaben gehören die Unterstützung der Führungsorgane, die Betreuung schutzsuchender Personen, die technische Hilfe (z.B. Hochwasserschutz oder Trümmerrettung), der Kulturgüterschutz und die Logistik. Der Zivilschutz sorgt zudem für die Bereitstellung und den Betrieb der Schutzinfrastruktur und unterstützt die Alarmierung der Bevölkerung.
Zivildienst leistet hingegen, wer militärdiensttauglich ist, aber aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten kann. Personen, die beispielsweise aus medizinischen Gründen nicht militärdienstpflichtig sind, haben kein Anrecht auf Zivildienst. Der Zivildienst dauert das 1,5-fache des Militärdienstes. Geleistet wird er schwerpunktmässig im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Umweltschutzbereich.