8 Oktober 2020

Die Feuerwehrfamilie von Frick

Wie fördern freiwillige Rettungsorganisationen die Gleichberechtigung? Die Fricker Feuerwehr kann selbst nicht richtig erklären, warum so viele Frauen mittun. Ein Ortsbesuch im Fricktal, wo rund ein Fünftel der freiwilligen Einsatzkräfte weiblich ist.

«Ich will helfen. Darum engagiere ich mich in der Feuerwehr», sagt Esther Herzog, Hausfrau aus Frick im Kanton Aargau. Seit 15 Jahren leistet sie jetzt bereits Hilfe; letzten Herbst wurde sie zum Oberleutnant befördert und ist nun erste Chefin eines Ausbildungszugs in der Stützpunktfeuerwehr Frick. «Den Leuten etwas beibringen und im Ernstfall sehen, wie alles bestens funktioniert», ist für die 48-Jährige eine weitere Motivation für ihr freiwilliges Engagement.

Esther Herzog stammt aus einer Feuerwehrfamilie, ihr Vater war bereits Kommandant. Inzwischen wirkt auch der eigene Nachwuchs aktiv mit: Vor zwei Jahren trat der erwachsene Sohn dem Korps bei. Auch die 10-jährige Tochter möchte später Brände löschen. «Aber als Profi», ergänzt Mutter Esther Herzog. Die Feuerwehroffizierin fühlt sich in der Männerdomäne akzeptiert. Neben ihr sind mehr als 20 weitere Frauen dabei und leisten einen freiwilligen Dienst in der Rettungs- und Brandschutzorganisation der drei Gemeinden Frick, Gipf-Oberfrick und Oeschgen am Nordzipfel des Aargaus.

 

Beim Nachwuchs sind die Frauen gut vertreten. Im Bild die Neueingeteilten 2019 kurz vor dem Kursstart (2 Tage Einführungskurs).

Bis zu einem Viertel Frauen

Die Feuerwehrkorps im Mittellandkanton haben die höchste Frauenquote der Schweiz. Während der nationale Durchschnitt bei 9,9 Prozent liegt, sind von rund 11 000 freiwilligen Aargauer Feuerwehrleuten derzeit über 17 Prozent weiblich. Noch grösser ist die Differenz zu professionellen Brandschutzorganisationen: Nicht einmal drei Prozent Frauenanteil kann die Berufsfeuerwehr der Stadt Zürich vorweisen. Und in der Stadt Bern traten vor vier Jahren erstmals zwei Rekrutinnen dem Profikorps bei.

 

Während der nationale Durchschnitt bei 9,9 Prozent liegt, sind von rund 11 000 freiwilligen Aargauer Feuerwehrleuten derzeit über 17 Prozent weiblich.

 

Im Aargau bestehen einzelne Korps bis zu einem Viertel aus Frauen. Auch die Stützpunktfeuerwehr Frick ist überdurchschnittlich weiblich: Major Andreas Fahrni, der direkte Vorgesetzte von Esther Herzog, darf aktuell 26 Frauen und 87 Männer kommandieren. Das ergibt einen Frauenanteil von über 20 Prozent.

Die Rekrutierungsrunde unter den 20- bis 30-Jährigen endete letzten Herbst noch verheissungsvoller: Sogar vier der 16 Neumitglieder sind weiblich. «Unser Problem ist weniger, Interesse für den aktiven Freiwilligendienst zu wecken als Personal für höhere Kaderfunktionen zu finden», sagt der Feuerwehrkommandant von Frick. Der grosse Zeitaufwand schrecke viele von Führungsaufgaben ab. Seit Esther Herzog für den Ausbildungszug verantwortlich ist, opfert auch sie bis zu vier Abende pro Woche für Übungseinsätze und deren Organisation. «Vor über zehn Jahren, mit kleinen Kindern zuhause, wäre das nicht möglich gewesen», sagt sie.

Seither hat sich einiges verändert: Nicht nur ihr Nachwuchs wurde selbständiger, auch die Feuerwehr lernte dazu. Vor 27 Jahren trat die erste Frau dem Feuerwehrkorps Frick bei. Die Pionierin fühlte sich offensichtlich wohl, denn «vor kurzem erst hat sie sich verabschiedet», sagt Andreas Fahrni. Esther Herzog trat 2006 ein. Als sie am Info- und Rekrutierungsabend zufällig eine Kollegin traf, meldeten sich beide spontan zur Grundausbildung an. Bis heute sind sie eng miteinander verbunden: Oberleutnant Herzog als Zugführerin und ihre Kollegin als Stellvertreterin. Zusammen mit der Chefin des Sanitätsdiensts bilden sie ein weibliches Dreiergespann im Fricker Feuerwehrkader.

Berührungsängste abgebaut

«So viele Frauen tun dem Korpsgeist gut», anerkennt Kommandant Fahrni. Sexistische Sprüche oder ein diskriminierendes Verhalten seien nie aufgetreten. Der Ton sei jederzeit respektvoll und angenehm. In Rettungseinsätzen und bei der Verarbeitung von dramatischen Erlebnissen komme man sich jeweils sehr nahe und baue Berührungsängste weiter ab. Dass man sich im selben Raum umziehe, sei für niemanden ein Problem, ergab eine interne Umfrage. «Dusche und sanitäre Einrichtungen sind jedoch selbstverständlich getrennt», so Fahrni. Und der legendäre Pin-up-Kalender hängt im Feuerwehrlokal von Frick in zwei geschlechterspezifischen Varianten an der Wand. Sollte sich daran auch nur eine Frau oder ein Mann stören, würde das Kommando sofort eingreifen.

Esther Herzog sagt, dass das Eis aber nicht von allein schmilzt: «Ich spreche häufig von mir aus an, dass sich niemand anders verhalten muss, nur weil eine Frau anwesend ist.» Sie habe zu Beginn den Eindruck gehabt, sich gegenüber Männern stärker beweisen zu müssen – «als weibliche Führungsperson zum Beispiel mit höherer Fachkompetenz». Als Mutter weiss sie aber um den Wert eines vertrauensvollen Führungsstils. Und allmählich gewöhne sich auch die Polizei daran, dass bei der Fricker Feuerwehr eine Frau Platzchefin sein kann. «Anfänglich kam es häufig vor, dass ein neben mir stehender Kollege als

Einsatzleiter angesprochen wurde», sagt Oberleutnant Herzog schmunzelnd. Wie die Feuerwehr von der Gleichberechtigung profitiert, zeigen der Aargau und das Stützpunktkommando Frick ebenso glaubhaft: Neben Hausfrauen wirken auch Hausmänner freiwillig mit. «Uns hilft dies sehr, weil sie tagsüber in der Gegend sind und nicht vom weit entfernten Arbeitsplatz einrücken müssen», sagt Andreas Fahrni. Allerdings benötigen Elternteile bisweilen einen temporären Hütedienst für die Kinder. Die Feuerwehr von Eggenwil, ebenfalls eine Aargauer Gemeinde, hat den letztjährigen Miliz-Preis des Rückversicherungskonzerns Swiss Re dafür erhalten, dass sie die Kinderbetreuung professionell organisiert.

Zwar richtete auch die Feuerwehr Frick einen Raum mit Spiel- und Malsachen im Obergeschoss ihres Lokals ein. Doch das Angebot wird in jüngerer Zeit kaum mehr in Anspruch genommen. «Die Feuerwehrkräfte finden offenbar eigene Lösungen», erklärt Andreas Fahrni. Und Esther Herzog ergänzt, dass ihre Mutter, eine Nachbarin oder ihr Partner jeweils bereitwillig und verständnisvoll
einspringen.

 

Esther Herzog spricht sich mit dem Administrator (Fourier) Florian Peter ab.

Kantonale Abgabe

Aber wie lautet das Rezept, mit dem es im Aargau gelingt, dass sich so viele Frauen einer freiwilligen Feuerwehr anschliessen? Die häufigste Antwort auf diese Frage lautet: «Alle 20- bis 44-Jährigen müssen eine kantonale Abgabe leisten, wenn sie keiner Feuerwehr beitreten.» Allerdings beträgt der schweizweit einzigartige Pflichtersatz höchstens 300 Franken.

Der Feuerwehrkommandant von Frick rätselt über die spezifischen Gründe für den hohen Frauenanteil: «Wir leisten eigentlich nichts Spezielles», so Fahrni. Genau dies kommt anscheinend gut an; gemäss Esther Herzog mache das Korps selbst kein grosses Aufheben um geschlechterspezifische Fragen, Rollen oder Aufgaben. «Alle sind an vorderster Front dabei.» Bei der Brandbekämpfung, bei Spezialeinsätzen mit Atemschutzgeräten oder beim Verkehrsdienst zählen erworbene Fachkenntnisse und individuelle Fähigkeiten. Physische Unterschiede spielen eine untergeordnete Rolle. «Jede und jeder kann sich anstandslos – und ohne Gesichtsverlust – Hilfe holen», sagt Kommandant Fahrni. Auch das Bedienen von Maschinen oder das Lenken der Fahrzeuge teilen sich die Mitglieder beiderlei Geschlechts in der Stützpunktfeuerwehr Frick jeweils gleichberechtigt auf.

«Frauen sind zu Beginn öfters nicht sicher, ob sie die Anforderungen erfüllen», weiss Ausbildungschefin Herzog aus vielen Übungseinsätzen. Sind jedoch die Hemmschwellen überwunden, packen die Anwärterinnen umso beherzter an. Und bisweilen zieht es Feuerwehrfrauen sogar den ganzen Ärmel rein: «Eben hat sich die Jüngste entschieden, die Ausbildung zur Berufsfeuerwehrfrau in Zürich zu absolvieren», sagt Fahrni.

Massnahmen fruchten

Tatsächlich bröckelt auch die professionelle Männerbastion. Gemäss Marco Grendelmeier, Mediensprecher von Schutz & Rettung Zürich, melden sich mittlerweile fünf bis acht Frauen zum Berufsfeuerwehrlehrgang an. «In früheren Jahren bewarben sich jeweils nur zwei.» Die Massnahmen zur Frauenförderung, die Schutz & Rettung betreibt, scheinen zu fruchten. Eine ist etwa, über die Arbeit von Feuerwehrfrauen und -männern gleichermassen zu berichten, in Bild und Text, online oder in einer gedruckten Publikation.

 

«Frauen sind zu Beginn öfters nicht sicher, ob sie die Anforderungen erfüllen.»
Oberleutnant Esther Herzog, Stützpunktfeuerwehr Frick

 

Auch die Facebook-Einträge des Fricker Feuerwehrkorps dokumentieren, wie viele Frauen hier mitwirken. Noch stärker prägt die Gleichberechtigung aber den alltäglichen Umgang unter den rund 120 weiblichen und männlichen Angehörigen. Fahrni und Herzog betonen das gute Klima, das kollegiale Verhältnis und das hohe Vertrauen untereinander. Die Verbundenheit und der familiäre Charakter strahlen zudem nach aussen. «Die Feuerwehr hat in der Bevölkerung von Frick und Umgebung einen guten Ruf», sagt Kommandant Fahrni. Und Esther Herzog ergänzt: «Wir sind nicht nur Retterinnen und Retter, sondern ein aktiver Verein mit einem abwechslungsreichen, coolen Programm.»

 

Zeitschrift Bevölkerungsschutz

Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift Bevölkerungsschutz im März 2020 (Dossier Nr. 35 – Frauen im Bevölkerungsschutz) schon einmal publiziert und wird hier im Blog nochmals aufgenommen.

 

Autor: Paul Knüsel, Wissenschaftsjournalist

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