5 Juni 2019

Das Wallis bereitet sich auf den «Big One» vor

«Ein Erdbeben ist wie ein Boxer: listig, geduldig und schlagkräftig», hat der französische Schriftsteller Michaël Ferrier geschrieben. Im Wallis weiss man, dass in den kommenden Jahren mit dem „Big One“ zu rechnen ist – ein Erdbeben mit einer Stärke von über 6 auf der Richterskala. Niemand weiss jedoch, wo und wann es zu diesem Erdbeben kommen wird.

«Erdbeben gehören zu den grössten Naturgefahren, denen das Wallis ausgesetzt ist», sagt Frédéric Favre, Staatsrat, Vorsteher des Departements für Sicherheit, Institutionen und Sport.

Der Kanton ist nicht gerüstet für eine solche Katastrophe, bereitet sich jedoch darauf vor. Auch die Bevölkerung muss gewappnet sein. Zu ihrer Sensibilisierung hat der Kanton Wallis am Samstag, den 11. Mai den ersten kantonalen Erdbebentag durchgeführt. Die Walliserinnen und Walliser konnten sich in verschiedenen Workshops über das Thema informieren, dank eines von der HES-SO Valais/Wallis entwickelten Erdbebensimulators die Auswirkungen eines Erdbebens testen sowie erfahren, wie der Zivilschutz unmittelbar von Katastrophen dieser Art betroffen ist.

Es wurden rund vierzig Schutzdienstleistende der Region Sitten aufgeboten, um die Tätigkeiten des Zivilschutzes vorzustellen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer konnten die verschiedenen Facetten des Zivilschutzes entdecken, unter anderem die Rolle der Pioniere, die insbesondere an der Reduzierung des Gefahrenpotenzials, der Rettung aus den Trümmern oder an der Wiederherstellung der Infrastrukturen mitwirken. Diese verschiedenen Aspekte wurden den ganzen Tag über vorgestellt.

Die Handgriffe sitzen. Kein Zweifel, diese Männer haben Übung.

«Leider haben wir Erfahrung auf diesem Gebiet», meint Frédéric Favre.

Auch wenn das Wallis in den letzten Jahrzehnten nicht mehr von einem schweren Erdbeben heimgesucht wurde, ist das Erdbeben von 1946 immer noch in aller Munde. Bei diesem Erdbeben mit einer Stärke von 5,8 kamen vier Menschen ums Leben.
Mehr als sieben Jahrzehnt später wären die Folgen viel dramatischer. «Bei einem schweren Erdbeben im Zentralwallis gäbe es hunderte Tote, tausende Schwerverletzte, zehntausende Leichtverletze und die Zahl der Obdachlosen würde sich auf rund 100’000 belaufen», betont Claude-Alain Roch, ehemaliger Leiter des kantonalen Amts für Bevölkerungsschutz.

Der Unterschied liegt darin, dass sich das Rhonetal stark entwickelt hat. Innerhalb von 73 Jahren hat sich die Ebene bevölkert und beherbergt immer mehr industrielle Grossbetriebe. «Im Wallis haben wir in den letzten 50 Jahren mehr gebaut als in den letzten 10’000 Jahren», sagt der Kantonsarchitekt Philippe Venetz.

Die Ebene besteht nicht aus felsigem Boden, sondern aus ungefestigten Sedimenten, die die Amplitude der Wellen verzehnfachen. «Sie können dies mit einem Mokka-Joghurt vergleichen», erklärt der Kantonsingenieur Vincent Pellissier. «Wenn Sie es in Ihrer Hand halten, ist es fest, wenn Sie es jedoch schütteln, wird es flüssig».

Die Rhoneebene ist daher bei einem Erdbeben einer der gefährlichsten Orte. Aber nicht das Erdbeben an sich ist tödlich, sondern seine Folgen wie z.B. der Einsturz von Gebäuden», sagt Vincent Pellissier. Philippe Venetz hat daher eine klare Botschaft: «Befasst Euch mit den bestehenden Gebäuden, sie bereiten die meisten Probleme, die neuen Gebäude sind sicher».

Die Präsentationen an diesem kantonalen Erdbebentag waren eher alarmierend als beruhigend. Dies ist auf die Realität vor Ort zurückzuführen. Statistisch gesehen wird das nächste schwere Erdbeben das Wallis in diesem oder im nächsten Jahr treffen. Aber wie gesagt, es handelt sich dabei nur um Statistiken: Das genaue Datum kennt niemand. Frédéric Favre weist auf den hinterhältigen Charakter von Erdbeben hin, indem er die Worte von Michaël Ferrier umformuliert: «Im Gegensatz zum Boxer wartet das Erdbeben auch auf uns, wenn wir nicht in den Ring steigen».

3 Fragen an…

Claude-Alain Roch, ehemaliger Leiter des kantonalen Amts für Bevölkerungsschutz.

Welche Rolle spielt der Zivilschutz bei einem schweren Erdbeben im Wallis?

Claude-Alain Roch: Der Zivilschutz muss insbesondere die Unterbringung der Obdachlosen planen, sich aber auch an der Rettung aus den Trümmern beteiligen. Der Zivilschutz ist unentbehrlich für den reibungslosen Ablauf des Krisenmanagements. Ohne ihn wären wir nicht in der Lage, eine solche Katastrophe zu bewältigen.

Weshalb?

Der Zivilschutz bildet die zweite Staffel im Kanton und umfasst beinahe 3000 Männer. Dies ist ein unbestreitbarer Vorteil, um erste Impulse zu geben, in den Trümmern gefangene Menschen zu retten oder Notunterkünfte vorzubereiten, während auf externe Hilfe gewartet wird. Dieses Mittel steht uns bei einer grossen Katastrophe zur Verfügung, um die ersten schwierigen Momente zu überstehen.

Zu welchem Zeitpunkt kommt der Zivilschutz zum Einsatz?

Bereits in den ersten Tagen. Im Falle einer solchen Katastrophe steht der Zivilschutz 24 Stunden nach Eintreten des Ereignisses im Einsatz.

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