Übung ODESCALCHI: Professionalität, Kompetenz und Zusammenarbeit
Es ist fünf Uhr morgens an einem Sonntag im Juni. Eine Rangierlokomotive und ein mit Chemikalien beladener Güterzug stossen in einem Tunnel zusammen. Die Kollision löst eine Kettenreaktion aus: Explosionen, Gebäude stürzen aufgrund der Schockwelle ein, Bäume im an den Bahnhof angrenzenden Waldstück fangen Feuer, die Autobahn ist blockiert und eine Giftwolke führt zur Evakuation eines Teils der Bevölkerung.
Dies war das schon fast apokalyptisch anmutende Krisenszenario der Übung ODESCALCHI. Sie wurde auf Anregung der Schweizer Armee organisiert und durch mein Departement unterstützt. Die Übung ODESCALCHI ermöglichte es, zum ersten Mal gemeinsam mit allen Einsatzorganisationen sowie mit internationalen Partnern die Zusammenarbeit im Ereignis zu üben. Das Szenario erstreckte sich über drei Tage (19. bis 21. Juni 2016) und ist an den Zugunfall von 2009 in der Toskana angelehnt. Damals entgleiste ein mit Butangas beladener Güterzug in der Nähe des Bahnhofs von Viareggio. Das austretende Gas führte zu gewaltigen Explosionen, die grosse Teile der Infrastruktur und zahlreiche anliegende Gebäude zerstörten. Die traurige Bilanz dieser Tragödie sind etwa 1000 evakuierte Personen, 100 Obdachlose und 22 Todesopfer. So schlimm dieses Szenario sein mag, ein solches Ereignis kann sich auch in unseren Breitengraden ereignen.
Truppenbesuch bei internationaler Rettungsübung #ODESCALCHI im Raum Chiasso-Como #beeindruckend #SUI/ITA pic.twitter.com/Hkp8KbZcnV
— Urs Wiedmer (@UrsWiedmer) June 21, 2016
Tatsächlich gibt es einen starken Zusammenhang zwischen den Güterzügen, die täglich durch unser Land fahren, und der Sicherheit der Bevölkerung. Zwei Gleisabschnitte des Kantons Tessin sind dabei besonders kritisch: die knapp 2 respektive 3 km langen Bahnhöfe von Lugano und Chiasso. Beides sind grenznahe Bahnhöfe, genau wie der Schauplatz von ODESCALCHI. Die Wahl des Übungsortes hat ebenfalls mit einem vergangenen Ereignis zu tun: 2011 lösten sich in Chiasso fünf Zisternenwagons von einem rollenden Güterzug und prallten heftig in einen wartenden Zug, glücklicherweise ohne Folgen.
Die Übung ODESCALCHI war eine sehr lehrreiche Erfahrung, die es uns erlaubte, die Organisation im Ereignis zu testen und sicherzustellen, dass die übergeordneten Stellen bereit sind, ein solches Ereignis zu bewältigen. In solchen Situationen ist es ungemein wichtig, sich persönlich zu kennen. Aus diesem Grund war der Slogan „In der Krise Köpfe kennen“ denn auch das Motto der Übung. Zum ersten Mal waren sämtliche Stellen der Ereignisbewältigung zusammen mit der Armee involviert und wurden durch den Kantonalen Führungsstab (KFS) geführt, der vorgesetzten Stelle für die schnelle und strukturierte Bewältigung von Naturkatastrophen und anderen Grossereignissen.
Das gegenseitige Kennenlernen der Personen und Prozesse vor allem auch während den Vorbereitungen ermöglichte es, im Umfeld der Übung ein Abkommen zwischen dem Kanton Tessin und der Präfektur Como zu unterzeichnen. Ein erstes, konkretes Resultat der Übung ODESCALCHI also. Zu den Zielen der Übung zählte denn auch die Überprüfung auf Stufe Armee des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Zusammenarbeit im Bereich der Risikovorsorge und -vorbeugung und der gegenseitigen Hilfeleistung bei natürlichen oder durch menschliche Tätigkeit verursachten Katastrophen sowie der Verordnung über die Katastrophenhilfe im Ausland. Sie erlauben es der Schweizer Armee, in den an die Schweiz angrenzenden italienischen Provinzen, deutschen Bundesländern und französischen Departementen sowie dem Fürstentum Liechtenstein tätig zu werden. Die Ratifizierung des Abkommens wird die Prozesse im Ereignisfall erheblich verschlanken. So kann der Kanton Tessin zukünftig direkt mit Como in Kontakt treten, ohne Umweg über die jeweiligen staatlichen Stellen. Das Abkommen könnte zudem als Türöffner für weitere Aspekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit dienen.
Eine beispiellose internationale Übung, die es sämtlichen Teilnehmern ermöglichte, die Effizienz der Zusammenarbeit mit zivilen und militärischen Partnern aus der Schweiz und Italien zu prüfen.
ODESCALCHI wird als Ausgangspunkt zur weiteren Verbesserung unseres Einsatzdispositivs Bestand haben. Wir haben nun solide Grundlagen geschaffen, auf welchen wir die optimale Zusammenarbeit verstärken sowie das gegenseitige Verständnis von sämtlichen involvierten Akteuren vergrössern konnten. Eine Übung, an der sich Tausende über Tage hinweg um den Erfolg der gesamten Operation bemüht haben. Ich möchte deshalb an dieser Stelle allen danken, die mit ihrem Einsatz einen Beitrag zum Erfolg von ODESCALCHI geleistet haben.