13 März 2015

Schnelle Hilfe aus vier Kantonen

Das Zugunglück im zürcherischen Rafz von Ende Februar 2015 zeigt auf, dass grössere Ereignisse jederzeit und unerwartet auftreten können. Erste zentrale Drehscheibe bei einem solchen Ereignis ist die Einsatzleitzentrale – die Schaltstelle, wo Notrufe eingehen und Aufgebote für die Einsatzkräfte ausgelöst werden. Hier sind schnelle und richtige Entscheidungen gefragt, damit einerseits das Ereignis rasch bewältigt werden kann und andererseits trotz Grosseinsatz jederzeit genügend Ressourcen für das Tagesgeschäft erhalten bleiben.

Umgekippte Zugswagen auf dem Schadensplatz in Rafz. Quelle: Schutz & Rettung Zürich
Umgekippte Zugswagen auf dem Schadensplatz in Rafz. Quelle: Schutz & Rettung Zürich

«Sie, hier sind zwei Züge zusammengestossen, eine S-Bahn und ein Intercity. Es hat einen Knall gegeben»

Diese Nachricht meldet am Freitag, 20. Februar um 06.42 Uhr eine junge Anruferin mit ernster, aber ruhiger Stimme vom Bahnhof Rafz der Einsatzleitzentrale (ELZ) von Schutz & Rettung Zürich über den Sanitätsnotruf 144. Calltaker Marco Johner nimmt den Notruf entgegen. «Ich versuchte mir möglichst rasch ein Bild von dieser Situation zu machen», erinnert sich Johner. Dank dem standardisierten Abfrageschema kann er schnell die relevanten Informationen erfragen und ins Einsatzleitsystem eingeben. Sobald alle benötigten Angaben vorliegen, lösen die Kollegen von Johner für die Einsatzorganisationen die ersten Aufgebote aus, welche im System für diesen Einsatz hinterlegt sind: Aufgeboten werden die zuständige Ortsfeuerwehr, mehrere Stützpunktfeuerwehren sowie Rettungsdienste samt Notärzten.

Der Arbeitsplatz eines Calltakers in der Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich
Der Arbeitsplatz eines Calltakers in der Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich. Quelle: Frequentis AG/image industry

Auch die Kantonspolizei und die SBB melden der ELZ von Schutz & Rettung, dass es beim Bahnhof Rafz zu einer Zugkollision gekommen sei und es «viele Verletzte» hätte. Weitere Notrufe von Passanten bleiben überraschenderweise vorerst aber aus. «Bei Grossereignissen denken viele Leute, dass sicherlich schon jemand anders angerufen hätte», sagt Reto Trottmann, Abteilungsleiter ELZ bei Schutz & Rettung Zürich. Dies kann im Ernstfall wertvolle Zeit kosten. Trottmann empfiehlt, auch bei einem solchen grossen Ereignis immer einen Notruf abzusetzen, solange noch keine Einsatzkräfte zu sehen sind oder keine Gewissheit besteht, dass alarmiert wurde.

Die Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich.
Die Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich. Quelle: Frequentis AG/image industry

Standardisierte Aufgebote – auch bei Grossereignissen

Aufgrund der ersten Informationen zum Ereignis entscheiden sich die Mitarbeitenden in der Einsatzleitzentrale wenige Minuten nach der Erstmeldung, einen «MANV 11+»-Alarm auszulösen. Die Abkürzung MANV steht für Massenanfall von Verletzten und Erkrankten. Dabei gibt es die Kategorien 0-5 (normales Tagesgeschäft), 6-10, 11+ sowie 50+. Für jede Kategorie sind die benötigten personellen und materiellen Ressourcen genau definiert und im Einsatzleitsystem hinterlegt, so etwa Einsatzfahrzeuge oder Sanitätshilfsstellen (Infrastruktur für die Triage und Erstbehandlung von Patienten). Das Dispositiv MANV 11+ bedeutet standardmässig ein Aufgebot für alle (auch dienstfreie) Mitarbeitenden des Rettungsdienstes und der Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich. Zudem werden Pikettoffiziere sowie zwei Kompanien der Milizfeuerwehr der Stadt Zürich aufgeboten, egal an welchem Ort in den Kantonen Zürich oder Schaffhausen das Ereignis eingetreten ist. Diese Milizkräfte unterstützen den Betrieb der Sanitätshilfsstelle sowie die Einsatzführung mit einem Einsatzleitfahrzeug vor Ort. Rund 320 Einsatzkräfte sind dem Dispositiv hinterlegt und werden per Pager und SMS aufgeboten.

Fahrzeuge des Rettungsdienstes von Schutz & Rettung Zürich im Warteraum
Fahrzeuge des Rettungsdienstes von Schutz & Rettung Zürich im Warteraum. Quelle: Markus Heinzer, Newspictures.ch

Dem Ereignis in Rafz angepasst, werden zusätzlich sämtliche verfügbaren Rettungswagen aus den Kantonen Schaffhausen, Schwyz, Zug und Zürich in einen definierten Warteraum vor der Ortschaft Rafz disponiert. Hier reiht sich bald Fahrzeug um Fahrzeug zu einer beeindruckenden Kolonne auf. Zudem erfolgte ein Aufgebot von fünf Rettungshelikoptern.

Spitaleinweisungen vor Ort koordinieren

Zwei Mitarbeitende der Einsatzleitzentrale rücken mit einem Fahrzeug direkt an den Einsatzort aus, um die Zuweisung der Patienten in die verschiedenen Spitäler zu koordinieren. Dabei können sie auf das bundesweite System «IES» (Informations- und Einsatzsystem) zugreifen. Die Kolleginnen und Kollegen in der Einsatzleitzentrale führen in diesem System parallel dazu im Hintergrund alle verfügbaren Spitalkapazitäten nach. Zudem wird in der Einsatzleitzentrale ein Teil-Stab hochgefahren. Dieser kümmert sich unter anderem darum, dass im gesamten Einsatzgebiet weiterhin genügend Ressourcen vorhanden sind und wickelt rückwärtige logistische Bedürfnisse für den Einsatz in Rafz ab. Dank dem Einsatzleitfahrzeug vor Ort ist es möglich, Bilder von Schadensplatz direkt in die Führungsräume der ELZ zu übermitteln.

Die Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich. Auf der rechten Seite befinden sich die Disponenten
Die Einsatzleitzentrale von Schutz & Rettung Zürich. Auf der rechten Seite befinden sich die Disponenten. Quelle: Schutz & Rettung Zürich

«Trotz des regen Betriebs und den vielen disponierten Einsatzmitteln kam in der Einsatzleitzentrale keine Hektik auf», erzählt Johner.

Vom schlechteren Fall ausgehen

Nach gut 45 Minuten zeigt sich, dass trotz der Meldung von vielen Verletzten «nur» mit sechs Spitaleinweisungen zu rechnen sein dürfte. Die noch anfahrenden Rettungsdienste erhalten deshalb den Auftrag, den Einsatz abzubrechen. Nötig ist das Aufgebot von insgesamt rund 30 Rettungswagen und zehn Notärzten aber trotzdem gewesen: «Wir müssen in solchen Fällen schnell entscheiden, grundsätzlich vom ungünstigsten Fall ausgehen und die dafür nötigen Ressourcen disponieren», sagt Reto Trottmann. Würde man beim Aufgebot zögern, vergehe alleine schon durch die Anfahrtsdauer zu viel wertvolle Zeit, bis die benötigten Rettungsmittel vor Ort sind, erklärt Trottmann.

Der Schadensplatz beim Zugunglück in Rafz. Zu sehen sind Einsatzleitungen und Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr
Der Schadensplatz beim Zugunglück in Rafz. Vor Ort sind Einsatzleitungen und Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr. Quelle: Schutz & Rettung Zürich

Die ELZ koordiniert neben den Einsatzmitteln vom Rettungsdienst in vier Kantonen auch jene der Feuerwehr im gesamten Kanton Zürich. Für das Sichern der entgleisten Zugwaggons und das Abpumpen von Öl aus der verunfallten Lokomotive in Rafz werden zwei weitere Stützpunktfeuerwehren aufgeboten.

Bergungsarbeiten der Feuerwehr
Bergungsarbeiten der Feuerwehr. Quelle: Markus Heinzer, Newspictures.ch

Gegen 20 Uhr am Abend wird der Einsatz in der ELZ abgeschlossen. «Nach einem solchen Tag macht man sich viele Gedanken – man ist aber auch stolz auf die getane Arbeit und das gute Zusammenspiel im Team», sagt Marco Johner.

Glücklicherweise sind bei diesem Einsatz nicht alle aufgebotenen Mittel vor Ort effektiv benötigt worden. Dennoch hat das Ereignis aber aufgezeigt, dass die geplanten Abläufe auch bei aussergewöhnlichen Lagen funktionieren und rasche Entscheidungen im Hintergrund dafür sorgen, dass schnell genügend Einsatzmittel am richtigen Ort sind.

Schutz & Rettung Zürich
Fabian Hegi, Kommunikation

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