Der Bevölkerungsschutz im Sicherheitssystem Schweiz: Trotz zentralem Leistungsmandat begrenzt vernetzt?
Das Aufgabenfeld der professionellen Sicherheitsarbeit wandelt sich kontinuierlich. Seit Ende des Kalten Krieges wandelte sich die Schweizer Sicherheitsarbeit zu einem thematisch breit definierten Arbeitsbereich, in welchem eine zunehmende Anzahl Akteure komplementäre Beiträge leisten. Doch wohin führen diese Entwicklungen genau und wie situieren sich einzelne Akteure – wie etwa aus dem Bereich Bevölkerungsschutz – im Gesamtsystem? Eine mehrjährige Untersuchung von Forschenden der ETH Zürich und Universität Genf analysiert den Schweizer Sicherheitsbereich anhand neuer Forschungsmethoden.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie sich das Aufgabenspektrum von einem eng militärisch geprägten Sicherheitsbegriff zu einem Set unterschiedlichster Gefährdungen entwickelte. Gleichzeitig verschob sich das institutionelle Gefüge der Schweizer Sicherheitsarbeit weg von der Verankerung in einem einzelnen Bundesdepartement (dem Eidgenössischen Militärdepartement) hin zu einer Grosszahl spezialisierter Behörden. Diese sind nunmehr über mehrere Departemente verteilt, umfassen Akteure aller drei Schweizer Regierungsstufen und beinhalten zahlreiche internationale Partnerorganisationen.
Die landesweite Sicherheitsarbeit in der Praxis
Dank einer umfassenden Befragung von knapp 600 Praktikern des Schweizer Sicherheitsbereichs zeichnet sich nach, wer welchen Herausforderungen in der alltäglichen Praxis wieviel Aufmerksamkeit schenkt und welche Behörde wie eng mit wem zusammenarbeitet. Die Rückmeldungen zeigen, wie die militärisch geprägte Sicherheitsarbeit neben der Verteidigung nunmehr auch extremistische Gewalt und den Schutz sozio-technischer Systeme umfasst – derselbe Arbeitsbereich jedoch auch, der seine traditionelle Rolle als Hauptaufgabe des Sicherheitsfelds verlor. Tatsächlich ziehen heute Gefahren der globalen Mobilität, allen voran migrationsbedingte Probleme und Terrorismus, die mit Abstand umfangreichsten Arbeitsleistungen des Schweizer Sicherheitsbereichs auf sich. Diese Gefahren – und nicht länger der klassische Verteidigungsfall – integrieren zudem das landesweite Arbeitsfeld, indem sie die Bereiche Verteidigung, Diplomatie und innere Sicherheit miteinander verknüpfen.
Diese programmatische Neuausrichtung wird teilweise von neuen Kooperationsmustern zwischen einzelnen Behörden begleitet. Landesweit sind die Schweizer Behörden heute stark und vielfältig untereinander vernetzt. Dennoch bestehen Unterschiede innerhalb der Akteurslandschaft. Stellen des VBS – allen voran das Generalsekretariat und der Nachrichtendienst – kooperieren am aktivsten mit anderen, gefolgt von der Grenzwacht und Verwaltungseinheiten von EDA und EJPD. Die gefragtesten Kooperationspartner hingegen sind die Bundespolizei (fedpol) und die Kantonspolizeien, während die Verteidigung und Grenzwacht vergleichsweise wenig oft als Partnerorganisation aktiv rekrutiert werden. Kooperationsplattformen wie etwa der Sicherheitsverbund Schweiz werden überraschend selten in Anspruch genommen, wohl auch weil die meisten Behörden selber vielfältige Kontakte pflegen.
Katastrophenschutz im Zentrum der Sicherheitsarbeit
In diesem Gesamtsystem nimmt der Bevölkerungsschutz eine besondere Stellung ein. Zwar stellt der Schutz kritischer Infrastrukturen aus Gesamtsicht eine etablierte, wenn auch nicht übermässig zentrale Aufgabe dar. Die Katastrophenvor- und Nachsorge jedoch stellt nach den Themen Migration und Terrorismus die drittzentralste Aufgabe des gesamtschweizerischen Arbeitsfeldes überhaupt dar. Ähnlich den beiden anderen besagten Themen integriert das Katastrophenmanagement eine besonders hohe Anzahl von Behörden über alle Regierungsstufen hinweg.
Differenzierte Einbettung des Bevölkerungsschutzes
Diese Zentralität bevölkerungsschutzrelevanter Themen geht allerdings nur partiell mit einer entsprechenden institutionellen Einbettung der Akteure einher. Zwar situiert sich gerade das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) unter den am stärksten aktiv kooperierenden Behörden. Auch gehören die kantonalen Zivil- und Bevölkerungsschutzstellen auf Stufe Kanton zu den am besten vernetzten Stellen. Doch als Partnerorganisationen werden sowohl das Bundesamt als auch die kantonalen Stellen klar weniger oft rekrutiert. Gleichzeitig zeigt sich der Bereich unterdurchschnittlich ausgeprägt grenzübergreifend vernetzt. Während die Arbeitspraxis des Bundesamts noch regelmässige internationale Beziehungen beinhaltet, so sind die kantonalen Stellen kaum systematisch grenzüberschreitend tätig – womit letztere zwar schweizweit vielfältiger, doch auch international signifikant schwächer vernetzt sind als etwa kantonale Polizeikorps. Aus Sicht des landesweiten Sicherheitsbereichs stellen ausländische Bevölkerungs- und Zivilschutzorganisationen dann auch keine signifikanten Partner dar.
Schlussbetrachtungen
Eine praxisorientierte Gesamtschau auf die landesweite Sicherheitsarbeit ermöglicht Vergleiche unterschiedlicher Art – insbesondere mit der Ausrichtung des Bereichs zu Zeiten des Kalten Krieges, doch auch innerhalb des Gesamtsystems heute. Letztere Vergleiche einzelner Arbeitsbereiche und Behörden sind allerdings mit Vorsicht zu ziehen. Denn auch wenn eine Systemanalyse etwa zeigen kann, dass ausgewählte Akteure über- oder unterdurchschnittlich vernetzt sind, so sind hohe Netzwerkwerte per se nicht zwingend erstrebenswert. Verschiedene Problemfelder benötigen unterschiedlich konfigurierte Lösungsansätze, und so mögen oder gar sollen Behörden unterschiedlich polyvalent aktiv und weit vernetzte sein. Dennoch sticht die schwache internationale Einbettung des Bevölkerungsschutzes ins Auge – eine Einsicht, die eine kritische Überprüfung der grenzüberschreitenden Katastrophenvor- und Nachsorge begründen dürfte.
Autoren
Dr. Jonas Hagmann ist SNF Ambizione Fellow am Institute of Science, Technology and Policy der ETH Zürich, wo er die Internationalisierung und Demokratisierung sicherheitspolitischer Systeme untersucht.
Dr. Stephan Davidshofer ist Oberassistent am Département de Science Politique et Relations Internationales der Universität Genf. Seine Forschung befasst sich mit europäischen Sicherheitspraktiken, dem Nexus zwischen Sicherheit und Entwicklungshilfe, sowie Fragen der internationalen Gouvernanz.