4 November 2015

Notfallkommunikation in multisprachlichen Gesellschaften

Felix Walz, langjähriger Offizier der Kantonspolizei Zürich, war nach Ausbruch der Ebola-Krise im Frühjahr 2014 in Westafrika im Einsatz. Er war an der bereits seit 2003 bestehenden United Nations Mission in Liberia (UNMIL) zur Unterstützung des Friedensprozesses in dem von einem langjährigen Bürgerkrieg geplagten Liberia beteiligt. Gegenwärtig unterstützt er als Senior Police Adviser im Auftrag des EDA den Aufbau und die Kapazitätserweiterung der Polizei in Liberia. In einem Referat an der Bevölkerungsschutzkonferenz 2015 zeigte er am Beispiel der Ebola-Krise in Liberia wichtige Aspekte der Krisen- und Notfallkommunikation in multisprachlichen Gesellschaften auf.

Karte der Ebola-Gebiete Guinea, Liberia und Sierra Leone

Ebola Map from Guinea, Liberia and Sierra Leone in summer 2014 (animated).gif

Die animierte Karte vom Centers for Disease Control and Prevention (CDC) zeigt die Verbreitung von Ebola von Juli bis September 2014.

An der United Nations Mission in Liberia (UNMIL) sind über 50 sprachlich und kulturell völlig heterogene Länder beteiligt: aus Asien, Afrika, Europa, Nord- und Südamerika; von Bangladesch bis Bolivien, von Norwegen bis Niger, von Türkei bis Togo. Vor diesem Hintergrund ist bereits die Kommunikation innerhalb der Mission eine enorme Schwierigkeit. Das fängt schon auf der naheliegenden Ebene der praktischen Sprachkompetenz an: Für eine derartige Mission braucht es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unter sich in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren können – im vorliegenden Fall natürlich in Englisch. Die praktische Erfahrung im Rahmen der UNMIL hat gezeigt: Es ist keineswegs selbstverständlich, dass ein Englisch sprechender Mitarbeiter aus Sri Lanka vom ebenfalls Englisch-sprechenden Kollegen aus der Ukraine verstanden wird. Die Sprachkompetenz in der Fremdsprache ist sehr unterschiedlich. Dazu kommt, dass die ausgeprägten Akzente nicht ohne Weiteres von allen verstanden werden. So ist bereits ein erheblicher Aufwand erforderlich, um geeignete Leute für Schlüsselpositionen zu finden, welche die Kommunikation zwischen den Delegationen aus den verschiedenen Ländern sicherstellen.

Felix Walz referiert an der Bevölkerungsschutzkonferenz 2015. Im Hintergrund seine Präsentation mit einem Foto, das ihn währen des Liberia Einsatzes zeigt.
Felix Walz schilderte an der Bevölkerungsschutzkonferenz 2015 seine Erkenntnisse während der Ebola-Krise in Liberia.

Dann kommt die spezielle fachliche Herausforderung. Im Falle der UNMIL-Hilfsmission war die Lage nach Ausbruch der Ebola-Krise enorm schwierig: Die Dimension der Ebola-Epidemie war noch völlig unklar, auch über die Gefährdung der ausländischen Helfer bestand keine Klarheit. In der Bevölkerung in Liberia selber besteht ein grosses Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung – und zumindest teilweise erstreckt sich dieses Misstrauen auch auf die UN-Mission und die anderen internationalen Hilfsorganisationen.

All diese Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass die Leitung der Mission anfänglich praktisch nicht kommuniziert hat. Darauf passierte genau das, was zu erwarten war: Es entstanden die wildesten Gerüchte, Vermutungen und Spekulationen über die Ausbreitung der Krankheit, über die Reaktion der betroffenen Bevölkerung, über die Ansteckungsgefahr für die Helfer, über die Absichten der UN-Mission selber. Die Ängste der Beteiligten wurden umso grösser und mächtiger. Im Ergebnis führte dies zu einer Gefährdung der gesamten Mission: Delegationen aus einzelnen Ländern haben sich zurückgezogen, teilweise bis hin zur faktischen Arbeitsverweigerung. Nach einigen Wochen übernahm der Police Commissioner die Leitung des Krisentabs. Indem er einen intensiven und regelmässigen Informationsrhythmus innerhalb der Mission selber einführte gelang es ihm relativ rasch, die Lage zu stabilisieren.

Zwei Frauen in Monrovia, Liberien, gehen an einem Plakat vorbei, auf welchen steht: “Ebola must go. Stopping Ebola is Everybody’s Business.”
In der Hauptstadt Monrovia wurde u.a. mit Plakaten auf Ebola hingewiesen. Foto: UNMIL/Emmanuel Tobey

Bei der weiteren Umsetzung der Hilfsmassnahmen rückte dann die Kommunikation mit der Bevölkerung vor Ort ins Zentrum. Auch im Hinblick darauf muss man sich die Ausgangslage vergegenwärtigen: Liberia hat ca. 3.8 Mio. Einwohner. Davon leben ca. 1.2 Mio. in der Hauptstadt Monrovia, der Rest zum grossen Teil im Busch, d.h. in Regionen mit sehr schwach entwickelter Infrastruktur. Es besteht eine Spaltung zwischen den religiösen Gruppen, insbesondere zwischen der christlichen und der muslimischen Bevölkerung – auch wenn der radikale Islam keine grosse Rolle spielt. In Liberia leben zudem 16 verschiedene indigene Volksgruppen („Stämme“); die Zugehörigkeit dazu ist für die meisten Menschen sehr wichtig – viel wichtiger jedenfalls als die Staatsangehörigkeit. Dementsprechend existieren nebeneinander zwei ganz unterschiedliche Rechtssysteme: das staatlich geregelte „formal law“ und das im Stamm tradierte „traditional law“. In der Realität ist das traditional law für die meisten Menschen nach wie vor das dominierende Rechtssystem.

Felix Walz zeigte anhand von verschiedenen Beispielen, dass all diese kulturellen Besonderheiten in der Kommunikation mit der Bevölkerung vor Ort berücksichtigt werden müssen. Ansonsten, ohne Berücksichtigung des „Local content“, werden die vermittelten Botschaften ganz einfach nicht aufgenommen. Sie entfalten dann keinerlei Wirkung – und die Hilfsorganisation erreicht ihre Zielsetzungen nicht. Deshalb sind Fragen wie: „Über welche Kanäle kann die Bevölkerung erreicht werden?“ oder „Wie kann die lokale Polizei die nötigen Informationen und Botschaften an die Bevölkerung vermitteln?“ unbedingt zu berücksichtigen. Bei einer erfolgreichen Notfallkommunikation müssen die lokalen Gegebenheiten sowie die Bevölkerung selber im Zentrum stehen.

Ein weiterer entscheidender Erfolgsfaktor ist die Zusammenarbeit mit Schlüsselpersonen aus der lokalen Gruppe, wobei für externe Helfer mit einem mitteleuropäischen kulturellen Background nicht immer auf Anhieb ersichtlich ist, wer diese „Opinion leaders“ sind. Die Macht- und Entscheidungsstrukturen innerhalb der lokalen Gruppen sind in der Regel wenig formalisiert, was aber nicht heisst, dass die Gruppen unorganisiert sind. Die lokale Schlüsselperson kann der Imam oder der Pastor sein, der Dorfälteste, der Dorfschullehrer etc. Wenn es gelingt, diese zur Mitwirkung zu gewinnen, nur wenn lokale Schlüsselpersonen im Zentrum stehen – und nicht ein fremder Experte –, dann besteht eine gute Erfolgschance. Dann wird die Botschaft von der Gruppe insgesamt aufgenommen – wodurch im Ergebnis eine wirksame Schutzmassnahme umgesetzt werden kann.

UNMIL auf Twitter

Auch die Verteilung von Informationsmitteln an Schulen war eine Methode, die Bevölkerung in Liberia über Ebola und die nötigen Vorsorgemassnahmen zu informieren.

 

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