8 April 2016

Pop-Alert: Neue Instrumente für eine grenzübergreifende Krisenkommunikation

Ob Hochwasser, Chemieunglück oder Terroranschlag – im Katastrophenfall ist die möglichst schnelle und präzise Alarmierung und Information der Bevölkerung oberstes Gebot. Jede Minute Verzögerung kann Menschenleben kosten. Die letzten zwei Jahre habe ich gemeinsam mit Schweizer und europäischen Kollegen im Forschungsprojekt Pop-Alert untersucht, wie die Krisenkommunikation der Zukunft aussehen könnte. Im Februar haben wir hierzu eine Szenario-Übung in Lissabon durchgeführt, bei der wir neue Instrumente der Krisenkommunikation testen konnten. Im Zentrum stand dabei die Nutzung zukunftsweisender Kommunikations- und Informationstechnologien für die zielgruppenorientierte und länderübergreifende Alarmierung.

Pop-Alert
Eindruck von der Übung im Februar 2016 in Lissabon

Brüssel als jüngstes Beispiel der Krisenkommunikation 2.0

Der enorm schnelle Wandel in der Mediennutzung der Bevölkerung stellt heute eine der zentralen Herausforderungen in der Krisenkommunikation dar. Während Radio, Fernsehen und Zeitung insbesondere bei jüngeren Menschen an Bedeutung verlieren, werden mobile Online-Medien immer wichtiger. Die Behörden des Bevölkerungsschutzes versuchen mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten und neue Medien für die Krisenkommunikation zu nutzen. So spielten bei den jüngsten Terroranschlägen in Brüssel Ende März die Social Media-Kanäle des nationalen Krisenzentrums und der Stadtverwaltung Brüssels eine zentrale Rolle für die Verbreitung von Informationen und die Korrektur von Fehlinformation und Gerüchten.

Studien (beispielsweise die von Douglas Paton) zeigen,  dass die alleinige Übermittlung einer Warnung oder einer Handlungsempfehlung noch keineswegs garantiert, dass die Bürgerinnen und Bürger die von den Behörden beabsichtigten Verhaltensmassnahmen auch tatsächlich ergreifen. Erfolgreiche Krisenkommunikation basiert auf einem grundlegenden Verständnis der sehr unterschiedlichen Risikowahrnehmungen, Kommunikationsgewohnheiten und Informationsbedürfnissen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen.

Der Grundstein effektiver Krisenkommunikation

Deshalb können je nach Alter, Bildungsstand, Herkunft usw. ganz unterschiedliche Ansätze der Krisenkommunikation zum Erfolg führen. In allen Fällen ist es unbedingt notwendig, die Kommunikationsbeziehungen zwischen Behörden und Bevölkerung bereits vor der Krise aufzubauen und so den Grundstein für effektive Krisenkommunikation zu legen. (Einige unterschiedliche Ansätze einer solchen zielgruppenorientierten Risikokommunikation habe ich letztes Jahr gemeinsam mit zwei Kollegen in einem unserer Risk & Resilience Reports untersucht.)

Das lokale Wissen fehlt

Eine besondere Herausforderung in der Krisenkommunikation in vielen Länder stellt die wachsende Mobilität innerhalb und über Landesgrenzen hinweg dar. Insbesondere bei Katastrophenereignissen in urbanen Räumen ist ein grosser Anteil der betroffenen Personen nicht dauerhaft am Ort des Geschehens ansässig. Hierzu zählen unter anderem Touristen, Geschäftsreisende, Berufspendler, Austauschstudenten und Flüchtlinge. Die Tatsache, dass die Hälfte der Opfer der Brüsseler Anschläge Ausländer waren, macht deutlich, wie heterogen die europäischen Gesellschaften (einschliesslich der Schweiz) sind. Wichtig ist dabei, dass all die genannten Gruppen gemein haben, dass sie häufig weder mit den lokalen Gefahren und dem richtigen Umgang mit ihnen vertraut sind, noch die örtlichen Behörden und deren Alarmierungssystem ausreichend kennen.

Alarmierung europäisch denken

Als logische Konsequenz aus der wachsenden Mobilität erscheint daher, die nationalen Grenzen der Krisenkommunikation zu überwinden und länderübergreifende Lösungen zu entwickeln. Ein überaus erfolgreiches Beispiel hierfür ist die Einführung der europäischen Notrufnummer 112 Anfang der Neunzigerjahre. Gleichzeitig stehen die Bemühungen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt Europas in der Krisenkommunikation zu berücksichtigen, erst am Anfang. Einen Beitrag in diese Richtung möchte das europäische Forschungsprojekt Pop-Alert leisten. Das im Frühjahr 2014 gestartete Projekt wird von der University of Greenwich (UK) geleitet und bringt insgesamt zehn Projektpartner aus sechs europäischen Ländern zusammen. Neben den akademischen Partnern sind auch Blaulichtorganisationen, kommunale Verwaltungsorgane sowie Technologiedienstleiter in der Forschungsgruppe vertreten. Das Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich bringt mit dem «Risk & Resilience» Team seine Forschungskompetenz im Bereich Katastrophenvorsorge und Risikokommunikation in den Forschungsverbund ein.

Was würden Sie bei einer Evakuierung tun?

Die erste Phase des Forschungsprojekts konzentrierte sich auf die Analyse von Risikowahrnehmungen und Katastrophenvorsorge in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten. Dabei offenbarten sich deutliche Unterschiede in zahlreichen Bereichen. Zum Beispiel zeigte eine Befragung von über 1200 Bürgern aus unterschiedlichen europäischen Ländern, dass sich je nach Herkunft die Bereitschaft individuelle Vorsorgemassnahmen zu ergreifen stark unterscheidet. Auch auf die Frage, was sie bei einer Evakuierungsaufforderung tun würden, gaben die Teilnehmer sehr unterschiedliche Antworten.

Neue Plattform mit mehrfachem Nutzen

Auf Grundlage dieser Ergebnisse konnten Instrumente und Prozesse zur Alarmierung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im Ereignisfall erarbeitet werden. Zugleich soll die Vorbereitung der europäischen Bevölkerung auf mögliche Katastrophenereignisse verbessert werden. Im Kern besteht das Konzept aus einer Online-Plattform mit unterschiedlichen Trainingsmodulen und Informationsressourcen für Behördenvertreter und die allgemeine Bevölkerung (einige der wichtigsten Verhaltenstipps sind bereits jetzt über die Webseite von Pop-Alert verfügbar.) Im Falle einer Katastrophe wechselt die Plattform in einen Alarm-Modus, der der Bevölkerung geo-basierte Informationen und Verhaltenshinweise liefert. Gleichzeitig werden die Behörden in der Lagebeurteilung und der öffentlichen Kommunikation unterstützt. Bei der Entwicklung der Instrumente wurde ein besonderes Augenmerk auf die Berücksichtigung sowohl lokaler als auch nicht-lokaler Gruppen (unter anderem Touristen oder Austauschstudenten) gelegt.

Dashboard Pop-Alert
Screenshot des Pop-Alert Dashboard während der Übung im Februar 2016

Praxistests in Lissabon und Korsika

Die von Pop-Alert entwickelten Instrumente haben wir mit Hilfe einer Simulationsübung im Februar 2016 in Lissabon getestet. Die Übung setzt das Szenario eines schweren Erdbebens in Lissabon ein.

Das Szenario orientiert sich an der realen Dreifach-Katastrophe von 1755, als ein Erdbeben vor der portugiesischen Küste einen Tsunami auslöste und tagelange Brände grosse Teile von Lissabon zerstörten. Schätzungen zufolge kostete die Katastrophe zwischen 30,000 und 60,000 Menschen das Leben.

Erdbeben Lissabon 1755
Zeichnung der Dreifach-Katastrophe in Lissabon 1755

Insgesamt nahmen 120 Personen an der eintägigen Übung teil, darunter zahlreiche Experten und Behördenvertreter. Gleichzeitig fand in Korsika eine zweite, kleinere Übung statt. Diese Übung mit 30 Teilnehmenden diente die vor allem der Verallgemeinerung der Ergebnisse. Technisch wurde die Übung unterstützt durch das Trainings-Tool Pandora, das in einem vorhergehenden EU-Projekt entwickelt worden war.

Erkennt Europa die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit?

Durch die Rückmeldungen der Teilnehmer der Übung konnten bereits erste wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, wie sich ein europäisches Alarmierungssystem verwirklichen liesse. Die endgültigen Ergebnisse werden derzeit erarbeitet; sie sollen in den nächsten Monaten vorliegen. Zugleich ist klar, dass ein Forschungsprojekt wie Pop-Alert nicht mehr sein kann als ein Anstoss für stärkere internationale Zusammenarbeit und transnationale Lösungen. Langfristig wird entscheidend sein, ob die europäischen Staaten die Notwendigkeit zur verstärkten Kooperation in der Krisenkommunikation erkennen. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht noch viele weitere schreckliche Ereignisse wie jene jüngst in Brüssel braucht, um wirkliche Fortschritte zu erzielen.

Übungsbild Lissabon 2016
Eindruck von der Übung in Lissabon im Februar 2016
Übungseindruck Lissabon 2016
Eindruck von der Übung in Lissabon im Februar 2016

 

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