18 Juni 2020

«Der Zivilschutz bietet den Frauen einen Mehrwert»

Mit Bundesrätin Viola Amherd steht erstmals eine Frau an der Spitze des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Seit Anfang 2019 ist sie somit höchste Bevölkerungsschützerin des Landes. Sie hätte gern mehr Frauenpower im Bevölkerungsschutz und insbesondere im Zivilschutz.

Frau Amherd, welche Erfahrungen mit dem Bevölkerungsschutz haben Sie in Ihr Amt mitgebracht?
Neben dem Sport ist der Bevölkerungsschutz der Bereich des VBS, in dem ich bei meinem Amtsantritt über die meisten Kenntnisse verfügte. 1993 hatten wir in Brig-Glis eine Hochwasserkatastrophe zu bewältigen und waren dabei auf die Unterstützung von Armee und Zivilschutz angewiesen. Damals hatte im Wallis noch jede Gemeinde eine eigene Zivilschutzorganisation. Während meiner Amtszeit als Stadtpräsidentin von Brig-Glis fusionierten wir den Zivilschutz der ganzen Region. Mit dieser Reorganisation habe ich mich intensiv beschäftigt. Nach der Unwetterkatastrophe haben wir auch regelmässig Übungen durchgeführt. Und im kantonalen Zivilschutzzentrum habe ich einen Kurs für Krisenstäbe absolviert. Als Stadtpräsidentin hätte ich bei einem weiteren Ernstfall den Krisenstab leiten müssen.

Im vergangenen Jahr haben Sie die Totalrevision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes erfolgreich durchs Parlament geführt. Ist der Bevölkerungsschutz nun für die künftigen Herausforderungen und Aufgaben gewappnet?
Ja, mit dem neuen Gesetz ist der Bevölkerungsschutz fit für die Zukunft. Die Einsatzkräfte und Krisenstäbe arbeiten
nicht mehr wie vor 10, 15 Jahren, und auch die Gefährdungen
haben sich verändert. Nun haben wir die gesetzlichen Grundlagen, um zeitgemässe Mittel zu beschaffen. Wenn ich an das sichere Datenverbundsystem denke, bin ich überzeugt, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.

«Ich habe im VBS eine vorbildliche Zusammenarbeit vorgefunden.»

Der Bevölkerungsschutz ist – im Gegensatz zur Armee – sehr föderalistisch organisiert. Sehen Sie dies eher als Vor- oder als Nachteil?
Natürlich entstehen durch die dezentrale Organisation Schnittstellen. Aber die föderalistische Organisation ist gut und richtig. Die Leute vor Ort sind nahe am Geschehen dran, kennen ihre Region und wissen, wo was benötigt wird. Daneben gibt es Aufgaben, bei denen eine zentrale Ansiedlung durchaus Sinn macht. Ich denke an die komplexen technischen Systeme, hier spielt der Bund eine wichtige Rolle.

Wo sehen Sie da die Schwerpunkte?
Im Vordergrund steht die Kommunikation. Es gilt nicht nur, die neuen technisch-digitalen Möglichkeiten gezielt zu nutzen, sondern sie auch sicherzustellen. In Brig haben ich erlebt, was es bedeutet, wenn das Kommunikationsnetz zusammenbricht.
Wir müssen dafür sorgen, dass im Einsatz die Kommunikation zwischen den verschiedenen Organisationen und Einsatzkräften funktioniert. Dazu müssen wir Polycom weiterentwickeln und ein sicheres Datenverbundsystem schaffen. Für dieses hat das Parlament 2019 den Verpflichtungskredit bewilligt.
Zudem wollen wir auch die Bevölkerung informieren. Alertswiss bietet die ideale Plattform, um die Leute zu erreichen. Dabei gilt es, die Grenzen solcher Systeme nicht zu vergessen: Für den Fall, dass die Kommunikationsnetze zusammenbrechen, haben die traditionellen Mittel, die Sirenen und das Radio, weiterhin ihre Bedeutung.

Eine neuere Herausforderung löst die Gesetzesrevision aber nicht: Die Anzahl der für den Zivilschutz Rekrutierten ist stark rückläufig. Sehen Sie bereits Lösungsansätze?
Das ist tatsächlich ein Wermutstropfen. Einfache Lösungen gibt es nicht, wir müssen die Herausforderungen grundsätzlich angehen. Eine Arbeitsgruppe stellt zurzeit Überlegungen an, wie sich das Dienstpflichtsystem generell weiterentwickeln kann und soll.

 

«Mit dem neuen Gesetz ist der Bevölkerungsschutz fit für die Zukunft.»

 

Bis Ende Jahr soll der Bericht vorliegen. Für mich ist klar: Der Bund steht in der Pflicht, auch wenn der Zivilschutz Sache der Kantone ist. Wir haben die Signale der Kantone gehört und nehmen diese ernst. Die Kantone sind deshalb auch in der Arbeitsgruppe vertreten.

«Während meiner Amtszeit als Stadtpräsidentin von Brig-Glis fusionierten wir den Zivilschutz der ganzen Region.»

Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe der Zeitschrift lautet «Frauen im Bevölkerungsschutz».
Könnten die Frauen das Rekrutierungsproblem des Zivilschutzes lösen?
Die Frauen können sicher dazu beitragen. Als Notnagel, rein zur Behebung des Problems mit den Beständen, sehe ich sie aber nicht. Frauen können und sollen im Zivilschutz und in der Armee einen wichtigen Beitrag leisten.

 

«Frauen können und sollen im Zivilschutz und in der Armee einen wichtigen Beitrag leisten.»

 

Mir ist bewusst, dass viele Frauen schon ehrenamtlich engagiert sind und noch immer den Grossteil der Familien- und
Betreuungsarbeit leisten. Oft sind sie neben dem Beruf bereits stark eingebunden. Trotzdem ist mir wichtig, dass wir den Frauen ein Engagement in Armee und Zivilschutz näherbringen. Dies, indem wir vor allem den Mehrwert aufzeigen, der für alle entsteht – für die Frauen, für die Armee und für den Zivilschutz.

Für die Armee haben Sie dies bereits eingeleitet.
Für die Frauenförderung in der Armee haben wir eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Den Auftrag dieser Arbeitsgruppe haben wir zwar nicht auf den Zivilschutz ausgeweitet. Ich bin aber sicher, dass sich viele Erkenntnisse und Massnahmen auf den Zivilschutz übertragen lassen werden, sodass wir auch hier von diesen Arbeiten werden profitieren können.

 

«Eine Arbeitsgruppe stellt zurzeit Überlegungen an, wie sich das Dienstpflichtsystem generell weiterentwickeln kann und soll.»

 

Sie haben es im VBS mit vielen technischen Fragen zu tun. Wie gehen Sie vor, um sich das nötige Know-how anzueignen?
Mir kommt entgegen, dass ich ein neugieriger Mensch bin. Ich lasse mich immer gern auf Neues ein. Wenn ich ein neues Dossier auf den Tisch bekomme, finde ich das spannend und studiere es genau. Wenn ich einen Entscheid fällen oder meine Meinung abgeben muss, ist es mir wichtig, die Materie zu kennen. In das Air2030-Dossier, zurzeit mein grösstes Projekt, habe ich mich von Anfang an reingekniet, ich habe es intensiv studiert und weitere Informationen eingeholt, damit ich in der Diskussion in den Kommissionen und im Parlament weiss, wovon ich spreche. Auch wenn ich weder Pilotin noch Ingenieurin bin.

«Wenn ich einen Entscheid fällen oder meine Meinung abgeben muss, ist es mir wichtig, die Materie zu kennen.»

Ist diese Haltung Ihre persönliche Arbeitsweise oder, denken Sie, eine typisch weibliche?
Schwer zu sagen. Sicher hilft mir mein Beruf. Als Juristin bin ich es gewohnt, mich in unterschiedlichste Themen einzuarbeiten.

Sie sind nun gut ein Jahr Vorsteherin des VBS. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Ich habe im VBS eine vorbildliche Zusammenarbeit vorgefunden. Das Jahr ist sehr schnell vorbeigegangen – mit
einer Fülle von Themen und Projekten. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, schon lange dabei zu sein. (Lacht.) Ich habe mich also gut eingelebt.

 

Zeitschrift Bevölkerungsschutz

Dieses Interview mit Bundesrätin Viola Amherd wurde in der Zeitschrift Bevölkerungsschutz im März 2020 (Dossier Nr. 35 – Frauen im Bevölkerungsschutz) schon einmal publiziert und wird hier im Blog nochmals aufgenommen.

 

Interview:
Sandra Kobelt, Chefin Kommunikation BABS
Pascal Aebischer, Redaktionsleiter «Bevölkerungsschutz», BABS

Fotos:
VBS/DDPS, Alex Kühni

Beitrag teilen:

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *