Schweizer Zivilschutz als Erfolgsmodell in Japan
Die nordkoreanische Atomstrategie und Raketentests in jüngster Zeit heizen in Japan die Diskussion um den Bevölkerungsschutz an. Auf der Suche nach Lösungen erkundigen sich japanische Journalisten beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) und der Schweizer Armee.
Es wäre ein ganz normales Interview im BABS, wäre da nicht die gewaltige Entourage von fast ein Dutzend Mitarbeitenden des japanischen Senders Ashai. Kameraleute, Tontechniker und Beleuchter installieren aufgeregt das Equipment, während die Maskenbildner den Moderator pudern und frisieren. Neben diesem hektischen Treiben gibt der Produzent mit Hilfe eines Übersetzers letzte Anweisungen an die beiden Interviewpartner: den Kommunikationschef des BABS, Kurt Münger, und den Armeesprecher, Daniel Reist.
Japans Interesse an der Schweiz
Das Interesse gilt dem Schweizer Bevölkerungsschutz, der Landesverteidigung und der gesellschaftlichen Verankerung dieser Bereiche in der Schweiz. Die Fragen drehen sich um die Anzahl, die Verteilung und Nutzung der Schutzräume, um das Konzept der Mobilmachung und den obligatorischen Militärdienst. Das VBS erhält immer wieder solche Anfragen von Medien aus dem ostasiatischen Raum. Jetzt, angesichts der Spannungen, die durch Nordkoreas Atomstrategie und Raketentests in der Region entstanden, steht die Frage der Bevölkerungssicherheit wieder stark im Mittepunkt.
«Aufgrund der Bedrohungslage wird über verschiedene Schutzmöglichkeiten diskutiert, wobei vor allem die japanische Oppositionspartei sehr prominent für den Bau von Schutzräumen wirbt», erklärt der Produzent die Situation in Japan. Die bereits in den 1960er-Jahren entwickelte Schweizer Schutzraumstrategie dient dabei als Vorbild, einerseits durch das weltweit einzigartige Obligatorium zum Bau von Schutzräumen, andererseits im Zusammenhang mit der bewaffneten Neutralität.
Bevölkerungsschutz im Wandel
Das gesellschaftspolitische Interesse Japans am Bevölkerungsschutz der Schweiz ist aus Sicht des BABS jedoch etwas zwiespältig: Oft wird auf Strukturen fokussiert, die aus Schweizer Perspektive nicht mehr zeitgemäss sind. Dies zeigt auch eine jüngste Anfrage nach dem Informationsbüchlein «Zivilverteidigung» aus dem Jahre 1969, welches damals in alle Haushalte verteilt wurde. Die Schweizer Vorbildfunktion ist historisch aus Zeiten des Kalten Krieges gewachsen, als der Bevölkerungsschutz auf Kriegsbedrohungen und insbesondere auf einen möglichen Nuklearkrieg ausgerichtet war. Wie die übrigen Länder Europas fühlte sich die Schweiz damals unsicher. Gleichzeitig wussten die Behörden: Die gesamte Bevölkerung kann sich bei einem Angriff nicht gleichzeitig in Sicherheit bringen. So entstand die Idee einer «vertikalen Evakuation» und Schutzräume im Boden wurden gebaut. Ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit, seit jeher Wesensmerkmale der Schweiz als Staat und Gesellschaft, unterstützen die Entstehung der Selbstschutzanlagen. Im Rahmen der «Konzeption 71» wurden unter anderem die Normen für Schutzräume sowie die personelle Organisation und deren Ausbildung sehr systematisch ausgearbeitet und bis ins Detail geregelt: Im Rückblick wird deutlich, wie stark der Verteidigungsgedanke in dieser Epoche nahezu alle Bereiche der Gesellschaft durchdrang.
In der Schweiz hat sich diese Denkweise verändert. Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde der Bevölkerungsschutz weiterentwickelt und völlig neu ausgerichtet, der Fokus liegt heute klar auf Katastrophen und Notlagen. Die bestehenden Schutzräume werden weiterhin unterhalten, neue werden jedoch kaum mehr gebaut. Landesweit übersteigt die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze nämlich die Gesamtzahl der Bevölkerung – ein weltweit einzigartiger Sachverhalt.
Das Interview von TV Asahi finden Sie hier.
Totalrevision Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz
Der Bundesrat hat am1. Dezember 2017 die Vernehmlassung für eine Totalrevision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes (BZG) eröffnet. Damit soll das Bevölkerungsschutzsystem modernisiert und gezielter auf die heutigen Gefahren und Risiken ausgerichtet werden. Die Änderungen zielen unter anderem darauf, die Kommunikationssysteme zu erneuern und gesetzlich zu verankern, den Bundesstab Bevölkerungsschutz besser aufzustellen, den ABC-Schutz zu verbessern und die Koordination des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (BABS) etwa beim Schutz kritischer Infrastrukturen zu stärken.