16 Juni 2025

Strahlung entschlüsseln

Ein hochsensibler Detektor, ein «Super Puma»-Helikopter und ein cleverer Computeralgorithmus: Wie Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI in Zusammenarbeit mit der Nationalen Alarmzentrale NAZ und anderen Partnern radioaktive Quellen am Boden aus der Luft aufspüren.

Was hat ein unscheinbarer Kanister mit Streusalz in einem Physiklabor zu suchen? David Breitenmoser erklärt: «Beim Streusalz handelt es sich um Kaliumchlorid, welches das radioaktive Kaliumisotop K-40 enthält – die Intensität der Strahlung ist allerdings sehr schwach.» Mit dem Streusalz will uns der Physiker die Leistungsfähigkeit eines ganz besonderen Detektors demonstrieren. Denn dieses Hochpräzisionsgerät kommt nicht etwa im Labor, sondern im Bauch eines «Super Puma»-Helikopters der Schweizer Luftwaffe zum Einsatz, um damit Strahlung aus der Luft zu detektieren.

Mit vier dieser baugleichen Detektoren führen Forschende des PSI in Zusammenarbeit mit der Nationalen Alarmzentrale NAZ und anderen Partnern jährlich sogenannte Aeroradiometrie-Messungen zur Bestimmung der aktuellen radiologischen Lage in der Schweiz durch. Dabei wird beispielsweise die natürliche Hintergrundstrahlung gemessen oder die Umgebung von Kernanlagen überprüft. Während solcher Messflüge lassen sich innerhalb von drei Stunden rund hundert Quadratkilometer ausmessen. Dies ermöglicht effiziente Einsätze, beispielsweise bei Störfällen in Kernkraftwerken oder Transport- und Industrieunfällen mit radioaktivem Material. Damit leistet die Aeroradiometrie einen wichtigen Beitrag für den Bevölkerungsschutz.

Wie misst man Radioaktivität aus der Luft? Mit einem Hightech-Detektor, einem «Super Puma»-Helikopter und einem cleveren Algorithmus. Wie das funktioniert und wie sich dabei auch die Menge an radioaktivem Material bestimmen lässt, erklärt David Breitenmoser in der ersten Episode der Advanced-Computing-Video-Serie.
© Paul Scherrer Institut PSI/Benjamin A. Senn, Markus Fischer, Monika Blétry und Mahir Dzambegovic

Im fliegenden Labor

Während der Aeroradiometrie-Messungen fliegt der Super Puma in einer Höhe von neunzig Metern über dem Boden und überwacht eine Fläche mit einem Radius von etwa dreihundert Metern. Die Herausforderung dabei ist enorm: Neben der grossen Höhe und der vergleichsweise kleinen Detektorfläche schwächt die Erdatmosphäre die Strahlung zusätzlich ab, sodass am Ende nur ein Bruchteil davon tatsächlich den Detektor erreicht. «Deshalb muss dieses Gerät auch so empfindlich sein», erklärt Breitenmoser.

Der Detektor erlaubt es den Forschenden nicht nur die Art, sondern auch die Menge des radioaktiven Materials zu bestimmen – zumindest theoretisch. Die Praxis erfordert nämlich eine exakte Kalibrierung: «Dafür müssten wir bekannte Radionuklide auf einer grossen Fläche verteilen, drüber fliegen und messen, wie der Detektor auf die Strahlung reagiert. Das möchte natürlich niemand», so der Physiker.

Mit dem Computer kalibrieren

Um ohne den Einsatz radioaktiver Substanzen vom Signal auf die radioaktive Menge schliessen zu können, entwickelt David Breitenmoser eine komplexe Computersimulation. Diese erlaubt es ihm zu modellieren, wie der Detektor auf verschiedene Einflussfaktoren reagiert. Was passiert beispielsweise mit dem Signal, wenn das Photon in einem anderen Winkel auf den Detektor trifft? Oder wenn es sich bei der Quelle nicht um einen Punkt, sondern um eine grössere Fläche handelt? Wie beeinflusst der herrschende Luftdruck oder die Bodenbeschaffenheit das Signal?

All diese Details gilt es in der Simulation zu berücksichtigen, was die Berechnungen jedoch enorm zeitaufwendig macht. «Auf unserem Grossrechner hier am PSI dauert eine Simulation ungefähr einen Tag. Möchten wir unseren Detektor für alle möglichen Szenarien kalibrieren, benötigten wir mehr als eine Million Simulationen. Summa summarum: Mehr als 1000 Jahre Simulationszeit.»

Um die Simulationszeit zu verkürzen und die Berechnung überhaupt erst möglich zu machen, hat Breitenmoser einen cleveren Trick angewendet: Er unterteilt das Problem in zwei getrennte Simulationen: «Wenn wir die möglichen Detektorsignale und die Umwelteinflüsse getrennt simulieren und erst am Ende zusammenführen, können wir den Rechenaufwand um einen Faktor 10 hoch 6 reduzieren – wir sind also eine Million Mal schneller als zuvor», erklärt Breitenmoser.

Im Zuge seiner Doktorarbeit am PSI, welche unter anderem vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI gefördert wurde, konnte Breitenmoser die nötigen Berechnungen durchführen. Sein Trick erlaubt es, alle notwendigen Simulationen, die eigentlich 1000 Jahre benötigten, in gut zwei Wochen durchzuspielen. Damit können er und sein Team auf einem gewöhnlichen Laptop bestimmen, wie der Detektor auf eine radioaktive Quelle reagiert. Ein erster Feldversuch hat gezeigt, dass das neue System funktioniert. Damit liesse sich theoretisch gar die Menge an Streusalz auf den winterlichen Strassen bestimmen.

Text: Paul Scherrer Institut PSI/Benjamin A. Senn

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