Im Interview: Eric Herbertz, Stellenleiter der Gehörlosenfachstelle der Region Basel
Eric Herbertz setzt sich als Sozialarbeiter und Stellenleiter der Gehörlosenfachstelle der Region Basel für die Bedürfnisse von gehörlosen und hörbehinderten Menschen ein. Im Interview erzählt er von den Herausforderungen für Gehörlose und Hörbehinderte im Alarmierungsfall. Im Fokus steht die einzigartige SMS-Alarmierung für Gehörlose und Hörbehinderte, die in Basel-Stadt und Basel-Land seit ein paar Jahren verfügbar ist. Er spricht mit uns auch über seinem Alltag und die verschiedenen Aufgaben der Gehörlosenfachstelle.
Wie lange arbeiten Sie schon bei der Gehörlosenfachstelle der Region Basel?
Seit dem November 1984, also bereits mehr als 30 Jahre.
Wie kamen Sie dazu, diese Arbeit zu machen?
Was direkt nach meiner Ausbildung nur erste Erfahrungen im Beruf sein sollten hat sich zu einem Kontinuum gewandelt. Es war eher zufällig, dass ich mit Gehörlosen und Hörbehinderten zu arbeiten begann, obwohl ich schon schwerhörige Personen im meinem Bekanntenkreis hatte. Es ist mir leicht gefallen mit ihnen in Kontakt zu treten. Auch habe ich die kommunikativen Voraussetzungen mitgebracht sowie eine gewisse Offenheit, sich dem Gegenüber anzupassen.
Was ist Ihre Ausbildung?
Ich bin in sozialer Arbeit und Heilpädagogik ausgebildet. Zusätzlich habe ich weitere Kurse und Workshops im Laufe der Jahre besucht – beispielsweise in den Bereichen IT, Betriebsführung und Fundraising.
Können Sie selber Gebärden?
Ja ich kann Gebärdensprache, nicht perfekt aber ich kann mich ausdrücken.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Die Arbeit hier ist vielfältiger als es die Bezeichnung vermuten lässt. Man liest: «Gehörlosenfachstelle» und denkt sofort an Hörgeräte oder Übersetzer. Tatsächlich umfasst unsere Arbeit noch viel mehr. Mein Job hat sich in den 30 Jahren, die ich hier bin, stetig gewandelt. Es sind immer wieder neue Aufgaben dazu gekommen. Ich übe eine Art Brückenfunktion zwischen der Welt der Gehörlosen und uns gut hörenden aus.
Als Geschäftsführer habe ich auch meine geregelten Abläufe, welche sich wohl in allen Berufsparten ähnlich gestalten. Damit meine ich beispielsweise die Organisation des Personals oder die Buchhaltung. Dazu kommen meine Aufgaben als Sozialarbeiter, die sehr unterschiedlich sein können. Wir wissen nie, was die Menschen zu uns führen kann. Oft sind es Anliegen, die über Monate bearbeitet werden müssen.
Welche Projekte bearbeiten Sie momentan?
Da uns die Alltagsarbeit viel beschäftigt, sind Projekte im engeren Sinn bei uns nicht so häufig. Und was ist denn die Beratung und Begleitung einer rat- und hilfesuchenden Person, bis zu deren wiedererlangten Selbstständigkeit, denn nichts anderes als ein Projekt? Das sind ziemlich viele Mini-Projekte in einem Jahr zu leisten. Menschen mit Anliegen sind unsere Projekte. Jeder Klient, der zu uns kommt, bringt sein Projekt mit. Nach meinem Verständnis finden Tätigkeiten im sozialen Bereich, generell und nicht personenbezogen gesehen, eigentlich nie einen Abschluss. Ein Projekt sollte hingegen mal zu Ende sein.
Wir haben laufende Angebote, beispielsweise ist jeder Mittwoch ein besonderer Tag: Am Nachmittag, von 13.30 bis 17.30 Uhr, bieten wir diverse Möglichkeiten an. Dies kann der Monatsclub, einen Treffpunkt oder ein Spielnachmittag sein, aber auch Informationen und Beratungen. Wichtig ist, dass Informationen rüber gebracht werden und Fragen geklärt werden. Bei unseren Spielnachmittagen sollen unsere Kunden aus Ihrer Isolation gebracht werden.
Was sind Ihre grössten Ziele / Anliegen im Beruf?
Den Nachteilsausgleich zugunsten unserer Klientel zu leisten. Wenn man diesen Leitgedanken im alltäglichen Leben ansiedelt, hat man ein echt grosses Ziel zu erreichen, welches sich aufgrund der steten Entwicklungen in unserer Gesellschaft immer wieder vor einem neuen Hintergrund präsentiert.
Unsere Gesellschaft mit ihrer Art zu kommunizieren – Botschaften, Anweisungen und Inhalte zu vermitteln – ist für gehörlose Menschen eine riesige Herausforderung. Hier versuchen wir, Hilfe zu leisten und Voraussetzungen zu schaffen, dass diese Nachteile abgebaut werden können.
Was war bisher Ihr grösster Erfolgsmoment in dieser Tätigkeit?
Da die Arbeit mit Menschen für mich Teamarbeit bedeutet, sind gemeinsam erreichte Ziele immer grosse Erfolgsmomente. Davon kann ein Arbeitsjahr ziemlich viel ausweisen. Ich möchte auch nicht von grössten Erfolgsmomenten reden, da müsste ich nämlich eine Skala dazu anwenden, was mir eigentlich widerstrebt. Alles, was klappt, macht Freude. Besonders gefreut habe ich mich schon über die Einführung der SMS-Alarmierung für Gehörlose in den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Land. Gehörlose in der Region Basel können sich über folgendes Formular für dieses Angebot anmelden.
Seit wann gibt es die SMS-Alarmierung für Gehörlose in der Region Basel?
Seit 2012 in Basel-Stadt und 2013 in Basel-Land.
Wer kam auf die Idee für dieses System und wer betriebt es?
Die Grundlagen dazu wurden von mir im November 1986 aufgrund der Brandkatastrophe «Schweizerhalle» gelegt.
Nach der Brandnacht war die Geruchsbelästigung so gross, dass eigentlich jeder wusste, dass etwas vorgefallen sein musste. Gehörlose kamen zu mir und haben mich gefragt, was denn passiert sei. Einer hat mir sogar erzählt, dass seine Nachbarn mitten in der Nacht in die Ferien gefahren seien. Nur sind die nicht in die Ferien gefahren, sondern haben sich in Sicherheit gebracht!
Von der Idee zur Umsetzung sind fast 26 Jahre vergangen. Der heutige SMS-Alarm wird über ein Produkt eines privaten Anbieters garantiert. Die Auslösung der Alarmierung erfolgt jedoch zeitgleich wie die Auslösung des Sirenenalarms durch die Kantonspolizei. Langfristig zufriedenstellend ist diese Lösung nicht – wir möchten, dass Gehörlose keine Sonderlösung benötigen. Stattdessen soll eine Lösung gefunden werden, von der schweizweit die gesamte Bevölkerung profitieren kann. Wir beobachten die Weiterentwicklungen der Alertswiss-Kanäle, beispielsweise in Richtung Push-Benachrichtigungen. Unser SMS-System alarmiert ungefähr 160 Personen, die sich dafür registriert haben. In einem Notfall sollen weit mehr Menschen erreicht werden können, was mit dieser Technologie nicht möglich ist.
Ist beim Betrieb verstärkte Zusammenarbeit mit den Organisationen des Bevölkerungsschutzes nötig?
Absolut. Ohne die von den kantonalen Stellen und unserer Stelle übermittelten Informationen könnten wir keinen Input leisten. Es geht uns ja nicht nur um die zu alarmierenden Gruppen, sondern auch um die Stellen, welche den Alarm auslösen. Nur wenn die Aufgaben als Schnittstelle in Brückenfunktion eindeutig definiert sind, kann diese Arbeit geleistet werden.
Auf was kann die Bevölkerung besonders achten, um das Leben für hörbehinderte Personen zu erleichtern?
Es gibt diverse Webseiten, auf welchen man zur Kommunikation und dem Umgang mit stark hörbehinderten und gehörlosen Personen reichhaltige Informationen erhält. Sich informieren ist ein erster Schritt und sich versuchen in die Situation dieser Menschen einzufühlen, ein weiterer. Am wichtigsten sind jedoch Anstand, Geduld und Respekt.
Wie kann eine hörende Person einer nicht hörenden Person im Ereignisfall helfen? Auf diese Frage entgegne ich mit der Gegenfrage, ob die Mehrheit in unserer Bevölkerung in einem Ereignisfall sich selber überhaupt zu helfen wüsste? Nur wer dazu in der Lage ist, kann auch seinen Nachbarn helfen. Ich denke, dass auch ein gut informierter Gehörloser in diese Rolle schlüpfen könnte. Meinen beiden Arbeitskollegen Viktor Buser und Tom Helbling traue ich es jedenfalls zu, bei einem Ereignis den kühlen Kopf zu bewahren und sich richtig zu verhalten.
Der für mich wichtigste Punkt ist, dass die hörbehinderten Personen den Alarm rechtzeitig mitbekommen. Bei einem Alarm den gehörlosen Nachbarn zu informieren und die Verhaltensmassnahmen bekannt zu machen, ist sicher richtig. Wer in einem solchen Moment einen kühlen Kopf behält, nimmt auch einen Block und Bleistift mit, um die Nachricht zu übermitteln. Am besten funktioniert die Nachbarschaftshilfe, wenn die Nachbarn einander bekannt sind. Die Nachbarn müssen wissen, dass sich hörbehinderte oder gehörlose Personen im Gebäude befinden. Es ist wichtig, dass in einem Notfall – aber auch im Alltag – aufeinander geachtet wird.