Direktor Benno Bühlmann.
BABS
22 März 2018

«Die Bevölkerung erwartet von uns den bestmöglichen Schutz»

Im Auftrag des Bundesrates erarbeitet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) zurzeit eine Totalrevision des Bundesgesetzes über den Bevölkerungs- und Zivilschutz (BZG). Im Interview zeigt Direktor Benno Bühlmann die wichtigsten Neuerungen auf.

Warum benötigt das BZG eine Totalrevision?

Das totalrevidierte Gesetz ist die zentrale Rechtsgrundlage für die Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes und des Zivilschutzes. Das bisherige BZG stammt aus den frühen 2000er-Jahren. Seither hat sich unser Umfeld verändert – die Risikolandschaft, die technischen Möglichkeiten und vieles mehr.

Bringt die Revision grundlegende Änderungen im Verbundsystem Bevölkerungsschutz?

Nein, das System hat sich bewährt. Daher bleibt insbesondere die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen grundsätzlich bestehen. Der Bevölkerungsschutz soll aber im Gesetz wesentlich mehr Raum erhalten. Wir wollen neue Grundlagen verankern, beispielsweise die Alarmierungs- und Kommunikationssysteme des Bevölkerungsschutzes, die kritischen Infrastrukturen, die Aufgaben der Nationalen Alarmzentrale, des Ausbildungszentrums in Schwarzenburg, des ABC-Schutzes und des Labor Spiez sowie des Bundesstabes ABCN.

Einen grossen Stellenwert in der BZG-Revision hat die Regelung von Alarmierungs- und Telekommunikationssystemen.

Ein ganz wichtiges Projekt ist die Realisierung des sicheren Datenverbundnetzes SDVN. Es geht darum, bei einer Katastrophe oder in einer Notlage von nationalem Ausmass die wichtigsten Führungsstellen der Behörden, aber auch Betriebe mit kritischen Infrastrukturen sicher zu verbinden. Fällt auf der Führungsebene die Kommunikation weg, fehlen die nötigen Informationen für eine Lagedarstellung und den Lageverbund – dann ist keine effektive und effiziente Führung mehr möglich. Mit dem Projekt SDVN wollen wir daher fixe Verbindungen schaffen, die stromsicher sind und einen wesentlich besseren Cyberschutz bieten. Damit schliessen wir eine zentrale Lücke im Sicherheitssystem des Bevölkerungsschutzes.

Das Sicherheitsfunknetz Polycom ist seit Jahren im Einsatz.

Polycom ist eine Erfolgsgeschichte. Das System ist seit Jahren täglich in Betrieb. 55’000 Nutzende können auch dann kommunizieren, wenn andere Kommunikationsmittel ausgefallen sind. Angeschlossen sind sämtliche Blaulichtorganisationen, der Zivilschutz, das Grenzwachtkorps, die Armee. Damit Polycom noch längere Zeit genutzt werden kann – wir planen den Betrieb bis 2030 –, müssen wir einen Technologiewechsel vornehmen. 2020 wollen wir in den Kantonen mit der Migration starten, die bis 2025 dauern wird. Die besondere Herausforderung ist es, dafür zu sorgen, dass in der Übergangsphase das alte und das neue System funktionieren – auch untereinander.

Wie weit ist das BABS im Bereich Alarmierung und Information der Bevölkerung?

Wir wollen die Bevölkerung im Fall einer Katastrophe oder Notlage besser erreichen. Viele wissen heute nicht mehr, wie sie sich bei einem Sirenenalarm verhalten sollen. Deshalb wollen wir aktuelle Ereignisinformationen über die vom BABS realisierte App Alertswiss als Push-Nachrichten absetzen und auf der Alertswiss-Website publizieren. Über diese Kanäle können wir der Bevölkerung rasch und direkt mitteilen, was der Sirenenalarm bedeutet und wie sie sich verhalten sollte. Der neue Service wird in der zweiten Jahreshälfte 2018 eingeführt. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt des BABS und aller Kantone – im Ereignisfall sind es vor allem die Kantone, die die Informationen über Alertswiss verbreiten werden.

Welche Änderungen sieht die Gesetzesrevision im Zivilschutz vor?

Die Schutzdienstpflicht soll reduziert und flexibilisiert werden. Wir wollen auch eine Option Durchdiener einführen. Es geht darum, eine gewisse Angleichung an den Militärdienst und die aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten zu finden. Darüber hinaus streben wir Anpassungen bei den Schutzanlagen an.

Was ist mit diesen geplant?

In der Schweiz gibt es über 2000 Schutzanlagen, das sind Kommandoposten, Bereitstellungsanlagen, geschützte Sanitätsstellen und geschützte Spitäler. Sie sind in einer Zeit entstanden, in der die Vorbereitung auf einen Krieg im Vordergrund stand. Zudem haben die Zivilschutzbestände abgenommen und es gibt wesentlich weniger Zivilschutzorganisationen. Gemeinsam mit den Kantonen wollen wir schauen, wie viele Anlagen es künftig noch braucht. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir sie bei Bedarf auch wirklich in Betrieb nehmen können. Das ist heute bei den geschützten Sanitätsstellen und Spitälern nicht der Fall.

Deshalb wird die Wiedereinführung des Sanitätsdienstes im Zivilschutz in Betracht gezogen?

Für mich ist dies mehr als eine Option. Wir müssen uns auch auf seltene Katastrophen und Notlagen von nationaler Bedeutung vorbereiten. Bei einem Erdbeben wie 1356 in Basel ist mit bis zu 50 000 Verletzten zu rechnen, bei einer Pandemie mit 40 000 Hospitalisationen. Unser Gesundheitssystem ist dem nicht gewachsen. Und die Armee ist mit ihrer Weiterentwicklung, mit ihrer Bestandesreduktion auch nicht mehr in der Lage, in dieser Grössenordnung Unterstützung zu leisten.
Rein technisch sind die geschützten Sanitätsstellen und Spitäler zum grössten Teil noch funktionstüchtig, aber völlig veraltet. Beispielsweise läuft die Lüftung einwandfrei, aber die Ausstattung zur Desinfektion entspricht überhaupt nicht mehr heutigen Standards. Noch gravierender ist ein anderer Punkt: Wir haben heute praktisch kein Betriebspersonal mehr für diese Anlagen! Die Wiedereinführung des Sanitätsdienstes im Zivilschutz ist daher eine Notwendigkeit. Die Bevölkerung erwartet von uns, dass ihr in so kritischen Lagen geholfen wird.

Was soll mit den überzähligen Anlagen geschehen?

Bei dieser Infrastruktur handelt es sich um einen Wert, der nicht einfach vernichtet werden soll. Ziel ist es, diese Anlagen umzunutzen, wenn möglich zu zivilschutznahen Zwecken, aber auch andere Zwecke sind denkbar. Gemeinsam mit den Kantonen suchen wir nach guten Lösungen.

Wie sieht der weitere Fahrplan für die BZG-Revision aus?

Die Vernehmlassung dauert noch bis Ende März. Vom Bundesrat haben wir den Auftrag, bis Ende Jahr die Botschaft fürs Parlament vorzubereiten. Wenn der Bundesrat die Botschaft im November 2018 verabschiedet, dürfte sich das Parlament 2019 damit befassen, und wenn keine grundsätzlichen Differenzen oder Schwierigkeiten auftreten, könnte das Gesetz auf 1.1.2020 in Kraft treten.

Sehen Sie den Schweizer Föderalismus heute mit anderen Augen?

Eigentlich nicht. Ich bin nach wie vor überzeugt von unserem föderalen System. Was die Kantone tun können – und das gilt auch für die Gemeinden in den Kantonen –, das sollen sie tun. Ganz nach dem Prinzip der Subsidiarität. Gleichzeitig muss der Bund dafür besorgt sein, dass es nicht zu 26 Individuallösungen kommt und dass wir interoperabel tätig sein können. Niemand will, dass der Schutz der Bevölkerung an Kantonsgrenzen scheitert.

Bühlmann: «Was wir bisher geschafft haben, das haben wir gemeinsam geschafft.»
«Was wir bisher geschafft haben, das haben wir gemeinsam geschafft.»

In beruflichen Dingen seien Sie eher zupackend und forsch, haben Sie in einem früheren Interview erklärt. Hat sich dies bewährt oder mussten und müssen Sie sich da etwas zügeln?

Zupackend bin ich, daran hat sich wohl nichts geändert. Uns stellen sich echte Herausforderungen. Wenn man da nicht zupackt und etwas forsch unterwegs ist, kann man das Ziel nicht erreichen. Die Bevölkerung erwartet, dass wir das Ziel erreichen und sie bestmöglich schützen. Dafür reicht blosses Verwalten nicht aus. Manchmal muss man aber vom Gas gehen, damit alle mitkommen.

Bei Ihrem Antritt als Direktor haben Sie gesagt, Sie wollten etwas bewegen, Sie wollten den Bevölkerungsschutz weiterbringen. Inwieweit ist Ihnen das bereits gelungen?

Ich finde, wir haben sehr viel erreicht. Wenn ich all die Projekte sehe, die wir aufgleisen konnten, und die Aufträge, die wir vom Bundesrat erhalten haben, wenn ich die laufende Gesetzesrevision sehe, dann bin ich sehr zufrieden. Dafür haben wir im BABS aber auch hart und lange gearbeitet. Was wir bisher geschafft haben, das haben wir gemeinsam geschafft. Für die Zusammenarbeit kann ich meinen Mitarbeitenden und unseren Partnern nur sagen: Danke schön!

Mehr Informationen

Titel Zeitschrift Bevölkerungsschutz

Das vollständige Interview können Sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Bevölkerungsschutz lesen.

 

 

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